berliner szenen: Sprache ist aller Laster Anfang
Der Bus fuhr wieder an. Die Fahrgäste schüttelte es durch, so mancher hielt sich an den Haltestangen fest oder stutzte für einen Moment beim Blick aufs Handy, das ein verwackeltes Bild bot. Es wird zu wenig von Ab- und Zurückweisungen erzählt, überlegte ich. Natürlich kommen Konflikte vor in den Liebesgeschichten, die erzählt werden, im Kino, in den Büchern und Zeitschriften, aber Geschichten, die von Zurückweisungen handeln, gibt es selten. Und wenn, dann sind sie privat.
Ich erinnerte mich an die Aussagen, die Alea bei einem unserer letzten Treffen getroffen hatte. An die von der Freundschaft, die mehr zähle als das Begehren. Dein Begehren ist nichts wert, hieß das im Subtext. Natürlich stellte sich später heraus, dass es mit der Freundschaft nicht so weit her war. Ich sollte darüber schreiben, dachte ich, während die Stadtlandschaften des Neuköllner Südens an uns vorbeiruckelten. Subversiv wäre es, wenn die Position des Partners oder der Partnerin mit einer durchschnittlich aussehenden Person besetzt wäre. Oder sogar einer, die unterdurchschnittlich war. Wenn man also Downdating betrieb.
Ansonsten bediente man nur das Prinzip, das jemand Schlaues aus Frankreich „das erotische Kapital“ genannt hatte. Es war leicht, zu den sexuell Attraktiven zu halten. Oder zu ihnen zurückzukehren. Man müsste alles anders machen, dachte ich, während Lagerhallen, verirrte Ruinen, Tankstellen vorbeitrieben. Büros, Praxen, Geschäfte, kleine Galerien. Schilder und Wahrheiten. „Räume für Gefühlssituationen“, „Verfahrensbeistand“. Im Bus trugen fast alle Leute Gesichtsmasken. Ein mundschutzloses Baby in einem Kinderwagen begann Laute von sich zu geben. Keine Zäune im Maul, aber Spracherwerb generieren! Dabei ist Sprache nur aller Laster Anfang. Und kein Mittel, Frustration zu vermeiden. René Hamann
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