heute in bremen
: „Da spielt viel mehr hinein als Chromosomen“

Foto: B. C. Koehler

Christine Rueffert63, Filmkuratorin und Filmwissenschaftlerin.

Interview Selma Hornbacher-Schönleber

taz: Frau Rueffert, heute Abend werden sieben Kurzfilme gezeigt. Was verbindet sie alle?

Christine Rueffert: Alle sind experimentelle Queerfilme. Diese beschäftigen sich mit der LGBTIQ*-Community und damit eben mit alternativen Lebens- und Liebensformen und marginalisierten Geschlechtsidentitäten. Gerade Film ist eine Möglichkeit, sich auf spielerische und provokante Weise mit Gender zu beschäftigen. Das macht nicht nur Spaß, sondern konfrontiert uns alle mit unseren Stereotypen und bewegt auch etwas in unseren Köpfen.

Was unterscheidet die Begriffe Geschlecht und Gender?

Hier wird zwischen biologischem und sozialem Geschlecht unterschieden. Die Begrifflichkeit „Doing Gender“ bezieht sich auf Judith Butler, die sagt, dass binäre Geschlechtszuweisungen von „Mann oder Frau“ nicht natürlich vorgegeben sind, auch wenn das gerne biologisch argumentiert wird. Da spielt viel mehr hinein als die X- und Y-Chromosomen, nämlich die Wechselwirkungen zwischen tausenden von Genen. Geschlecht wird soziokulturell konstruiert. Und wenn es „Doing Gender“ gibt, gibt es auch „Un-doing Gender“, das bedeutet, die soziale Konstruktion von Gender deutlich zu machen.

Menschen identifizieren sich mit ihrem Geschlecht, wieso also „Un-doing Gender“?

Das ist wichtig, um die Gesellschaft dafür zu schaffen, dass eben nicht jede Person mit seinem*ihrem Geburtsgeschlecht einverstanden ist. Und damit ein Bewusstsein dafür entsteht, dass das binäre Gesellschaftssystem immer auch ein Herrschaftssystem beinhaltet, das mit Privilegien einhergeht. Die Infragestellung solcher binärer Zuweisungen verändert viel daran, wie weit wir Gesellschaft als veränderbar sehen.

Neben Gender haben Menschen ja auch mit anderen Diskriminierungsformen zu kämpfen. Was ist zum Beispiel mit Rassismus?

Das kann ineinander greifen! Das Programm behandelt nicht nur das Thema Gender, sondern auch „Race“, soziale Klasse, Alter oder Behinderung und andere Faktoren, durch die Menschen Diskriminierung erfahren. Das zeigt beispielsweise der autobiografische Film von Celeste Chan: „No Fats, No Femmes, No Asians“.

Was muss ich beachten, um Diskriminierung gegen Menschen aus der LGBTIQ*-Community zu vermeiden?

Das Wichtigste ist, den Menschen, denen wir begegnen, die Freiheit zu lassen, sie selbst zu sein und Jede*n selbst bestimmen zu lassen, was das heißt. Also zum Beispiel niemandem von außen ein Geschlecht zuzuweisen und zu respektieren, welches Geschlecht jemand leben will.

„Un-doing Gender/film:art 87 queer cinema“: 20.00 Uhr im City46, Reservierung online