Eine neue Lunge im Eilverfahren

ORGANHANDEL Viele Spenderorgane werden ohne Prüfung vergeben. Wartelisten werden so ausgehebelt

BERLIN dpa | In Deutschland gelangen immer mehr rettende Spenderorgane per Schnellverfahren zu todkranken Patienten. Allein 2011 wurden rund 900-mal Herz, Lunge, Niere, Leber oder Bauchspeicheldrüse per beschleunigte Vermittlung vergeben, wie aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht.

Dieses Verfahren wird zum Beispiel für schwer vermittelbare Organe etwa von älteren Patienten mit Vorerkrankungen angewendet, die Organe bleiben in der Regel in der Region. Es wird auf kurze Dauer bis zum Einsetzen des Organs geachtet. Wenn ein solches Organ bereits in einem Transplantationszentrum ist und dort als nicht geeignet für einen Patienten bewertet wird, kann es sein, dass es gar nicht mehr allgemein vergeben wird, sondern in der Klinik bleibt. Das sonst gängige System einheitlicher Wartelisten ist so weitgehend außer Kraft gesetzt.

Das Ministerium verwies auf Richtlinien der Bundesärztekammer, nach denen es auch für dieses Verfahren bestimmte Auswahlkriterien gibt. Mit 38,5 Prozent wurde 2011 etwa mehr als jede dritte Leber auf diesem Weg vergeben. Auch fast jedes vierte Herz und sogar jede zweite Bauchspeicheldrüse wird im beschleunigten Verfahren verteilt. 2002 betrug der Anteil der beschleunigten Verfahren bei Herz, Leber und Bauchspeicheldrüse noch unter 10 Prozent.

Das Ministerium begründete den Anstieg mit dem wachsenden Spenderalter, was vermehrt schwer vermittelbare Organe bringe. Es gilt dem Bericht zufolge bei Experten jedoch als manipulationsanfällig. Wiederholt war der Verdacht geäußert worden, Organe würden „kränker“ gemacht, um das bestehende System der Organverteilung zu unterlaufen. Laut Eugen Brysch, Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, sei in einem Prüfbericht im Auftrag des Gesundheitsressorts das Verfahren bereits vor Jahren als anfällig für Manipulationen bezeichnet worden.