Brüsseler Datenwut

Kommunikation soll europaweit überwacht werden

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Unter dem Eindruck der Terroranschläge in London setzen sich die europäischen Institutionen gegenseitig unter Handlungsdruck. So holte der britische Innenminister Charles Clarke beim Treffen mit seinen Kollegen Mitte Juli in Brüssel einen Vorschlag wieder aus der Schublade, nach dem bestimmte Telefon- und Internetdaten sämtlicher Bürger mindestens ein Jahr lang gespeichert werden sollen. Wenig später kündigte der zuständige EU-Kommissar Franco Frattini an, die Kommission arbeite an einem ähnlichen Gesetzentwurf. Unter Juristen ist nämlich umstritten, ob der Rat einen Rahmenbeschluss ohne Beteiligung des Parlaments überhaupt verabschieden darf. Die juristischen Dienste von Kommission und Parlament kamen zu dem Schluss, ohne Zustimmung des Parlaments könne das Gesetz nicht beschlossen werden.

Der deutsche Innenminister Schily ist für den britischen Plan. Auch die deutsche Justizministerin glaubt, dass sich Terrorakte dann leichter aufklären ließen, wie die Ermittlungen nach den Anschlägen von Madrid gezeigt hätten. Nach diesen Attacken im März 2004 hatte die britische Regierung zusammen mit Irland, Frankreich und Schweden schon einmal einen Entwurf für ein Datenspeicherungsgesetz vorgelegt. Danach sollten Telefongesellschaften und Internetanbieter Name, Adresse und angerufene Telefonnummern ihrer Kunden mindestens ein Jahr, maximal drei Jahre lang speichern. Der Vorschlag stieß im Europaparlament bei allen Parteien auf heftigen Widerstand.

Der liberale EU-Abgeordnete Alexander Alvaro kritisiert, ein derart massiver Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte solle beschlossen werden, ohne dass der Nutzen einer so riesigen Datenbank erwiesen sei. Die Behauptung, die Anschläge von Madrid wären auf dem Weg über gespeicherte Telefondaten aufgeklärt worden, sei unkorrekt. „Jeder Erstsemesterstudent in Jura lernt, dass ein Grundrechtseingriff einer Rechtfertigung bedarf. Solange die nicht vorliegt, ist er nicht gerechtfertigt. Damit fliegt man in jeder Klausur durch, nur im Ministerrat nicht.“

Allein die Telefongesellschaften schätzen die Investitionen, die für die größere Speicherkapazität aufgewendet werden müssten, auf europaweit 200 Millionen Euro – laufende Finanzierung und Personalkosten nicht mitgerechnet. Acht Terabyte jährlich müssten gespeichert werden – das entspricht dem Inhalt von 800 Kilometer Aktenordner. Viel härter träfe es aber die Internetbranche, die sich aus kleinen und mittleren Firmen zusammensetzt. Experten schätzen, dass die Speicherkapazitäten um das 1.000- bis 5.000fache erhört werden müssten – je nachdem, wie lange die Daten aufbewahrt werden sollen.

Kritiker haben also nicht nur die eingeschränkten Bürgerrechte und die Datenschutzprobleme im Blick. Das Ausmaß dieser Einschränkung und die anfallenden Kosten stünden in keinem Verhältnis zum möglichen Ertrag. Mehr als 34.000-mal wurden die Telekommunikationsgesellschaften im vergangenen Jahr aufgefordert, Daten an die Ermittlungsbehörden weiterzugeben. Der Löwenanteil bezog sich auf allgemeine kriminelle Delikte, weniger als hundert Anfragen hatten einen terroristischen Hintergrund. Das Internet spielte bei den Ermittlungen ohnehin fast keine Rolle. Lediglich 78 Anfragen gab es zu E-Mail-Daten und 92 Recherchen zu DSL-Anschlüssen.

Sollte der Rat das Gesetz im Alleingang durchzubringen versuchen, wird es mit Sicherheit eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof geben. Auch der Verband der Deutschen Internetwirtschaft eco behält sich diesen Weg vor. Die Hoffnung des Europaabgeordneten Alvaro ruht allerdings auf der neuen Bundesregierung. Da CDU und FDP im Deutschen Bundestag im Februar einen ähnlichen Gesetzentwurf von Innenminister Schily zur längeren Datenspeicherung abgelehnt hätten, müsste die neue Regierungschefin Angela Merkel konsequenterweise im Europäischen Ministerrat ebenfalls ihr Veto einlegen. Dann wäre der britische Aktionismus gestoppt, denn der Rahmenbeschluss könnte nur einstimmig von den EU-Regierungen beschlossen werden.