berliner szenen
: Was da alles schiefgehen kann

Die Frau am Nachbartisch will mit der Bestellung noch warten. Sie breitet eine bunte Unterlage aus, platziert akkurat ihren Laptop. Die beiden freien Stühle rückt sie zurecht und überprüft noch mal, in welchem Winkel sie zueinander stehen, sie inszeniert sorgfältig. Schließlich begrüßt sie überschwänglich das hinzukommende Paar. Und fängt gleich laut und lebhaft an zu erzählen, was ihr passiert ist.

Ein Auftrag ist geplatzt. Sie war engagiert für September, und plötzlich haben ihre Kunden abgesagt. Ihre Anwältin meint, sie habe Anspruch auf ein Ausfallhonorar.

Das hinzugekommene Pärchen beschwichtigt, es will ja gar nicht stornieren. Die Hochzeit soll wie geplant stattfinden, deshalb sind sie doch mit ihr, der Hochzeitsrednerin, verabredet. Die Beschwichtigung setzt einen neuen Redeschwall in Gang. Die eigene Hochzeit damals, leider ein Fehler, auch die Hochzeiten ihrer Brüder, fünf Brüder. Was da alles schiefgegangen ist. Einmal habe es keinen Tisch zum Ablegen des Brautstraußes gegeben, ein anderes Mal sei dieser Tisch so groß gewesen, dass er das ganze Foto versaut habe. Keine Hochzeit ohne Missgeschicke.

Endlich bemerkt sie die unruhigen Blicke ihrer beiden Kunden und aktiviert im Laptop einen vorbereiteten Fragebogen.

„Wird dich jemand zur Trauung begleiten“, fragt sie die Braut. „Ja, mein Papa.“ Das klingt, als sollte sie zur Einschulung gehen. Papa – die Braut ist Mitte 40. „Und wo habt Ihr euch kennengelernt?“ Sie wollte sich ein neues Sofa kaufen, und er war der Verkäufer. „Dabei sind Kunden ja eigentlich tabu“, wirft der Bräutigam ein. Das Stichwort für die Hochzeitsrednerin: „Ganz meine Maxime, auch für meinen Beruf, Kunden sind tabu.“ Das kann man ihnen nur wünschen.

Claudia Ingenhoven