Weit entfernt von gleichen Löhnen

LOHNGEFÄLLE Jeder zweite Ostdeutsche arbeitet für einen Niedriglohn, im Westen ist nur jeder Fünfte. Und die Unterschiede nehmen zu. Ursache ist die De-Industrialisierung der neuen Länder nach der Wende

Noch immer liegen die Löhne im Osten ein Viertel unter dem West-Durchschnitt

VON RICHARD ROTHER

Neunzehn Jahre nach der deutschen Vereinigung sind die Löhne im Osten noch immer deutlich geringer als im Westen, und zwar durchschnittlich ein Viertel. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) aus Anlass des Tages der Deutschen Einheit vorgestellt hat. Die geringe Bezahlung und die hohe Arbeitslosigkeit im Osten sorgten für ein deutlich höheres Armutsrisiko der Bevölkerung, heißt es weiter.

Konkret betrug der durchschnittliche Bruttostundenverdienst im Oktober 2006 im Westen 17,22 Euro, im Osten lag er dagegen bei nur 13,51 Euro. Und: Die Schere zwischen den Ost- und Westlöhnen schließt sich nicht, sondern öffnet sich sogar ein Stückchen weiter. Betrug der Verdienstabstand zwischen Ost und West 1996 noch 27,1 Prozent, so lag er 2007 bei 27,4 Prozent.

Diese Unterschiede haben viele Ursachen: So ist der Anteil der Beschäftigten in gut bezahlten Branchen im Westen höher als im Osten. Aber auch innerhalb der Branchen wird im Westen mehr gezahlt als im Osten. Dabei spielt auch die höhere Tarifbindung der westdeutschen Wirtschaft eine Rolle. Die Tariflöhne nähern sich langsam an, im Osten wird jedoch vielerorts unter Tarif gezahlt – häufig auch nur Niedriglöhne. Die international definierte Niedriglohnschwelle in Deutschland lag 2007 bei 9,19 Euro pro Stunde. Für diesen Lohn arbeitete laut Studie in Ostdeutschland fast jeder zweite Beschäftigte, im Westen jeder fünfte.

Aufgrund der im Osten weit verbreiteten Niedriglöhne ist auch der Anteil der Beschäftigten, die zusätzlich zu ihrem Gehalt Hartz IV benötigen, größer als im Westen. Insgesamt ist das Armutsrisiko laut Studie in den neuen Ländern doppelt so hoch wie in den alten. Am meisten armutgefährdet sind die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, am geringsten in Bayern.

Ursache dieser Gesamtentwicklung ist die De-Industrialisierung Ostdeutschlands nach der Wende, die einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen brachte und die trotz massenhafter Abwanderung der Ostdeutschen zu einer permanent höheren Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern führte. Denn wenn es wenig Jobs gibt, werden schlechte Bedingungen eher akzeptiert. In der direkten Nachwendezeit bis 1991 gingen laut DGB-Studie im Osten rund 1,3 Millionen Jobs verloren, danach eine weitere Million.

Profitiert hat davon Westdeutschland: Hier wurde in der Nachwendezeit Beschäftigung aufgebaut, um im Wiedervereinigungsboom die steigende Nachfrage aus Ostdeutschland zu bedienen. Innerhalb von zwei Jahren sind damals im Westen 2,5 Millionen neue Jobs entstanden, anderthalb mal so viel wie in den 16 Jahren danach.

Mit anderen Worten: Nach der Abwicklung der häufig maroden Ostbetriebe, die nach der Währungsunion nicht konkurrenzfähig sein konnten, wurde Ostdeutschland zu einem Absatzmarkt für westdeutsche Produkte degradiert. Diese Abhängigkeit von der westdeutschen Wirtschaft besteht bis heute fort. „Große, eher kapitalkräftige, exportorientierte und forschungsintensive Industrieunternehmen sitzen hauptsächlich in den alten Bundesländern“, bilanziert die DGB-Studie. „Im Osten führen sie meist nur Zweigbetriebe.“

Im Osten seien lediglich „einige industrielle Inseln“ entstanden wie um die Städte Dresden, Jena, Wismar und Leipzig. „Diesen industriellen Inseln stehen große Flächen ländlicher Gebiete gegenüber, in denen Tourismus und Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen, die jedoch nicht in dem Maße für Wachstum und Beschäftigung sorgen können wie die industriellen Leuchtturmregionen und das hier angesiedelte Produzierende Gewerbe.“