Endlich gefunden: Zeit für eine Entscheidung

Der Bundesinnenminister geht nun doch nicht juristisch gegen die taz vor. Stattdessen
will Seehofer mit der Chefredaktion ein Gespräch führen. Die wüsste auch schon, wo

„Mir geht es (...) nicht (...) um einen Eingriff in die Pressefreiheit“

Horst Seehofer, CSU, ­Bundesinnenminister

Von Anja Maier

Am Donnerstagmorgen hat das tagelange Warten ein Ende. Um 9.43 Uhr veröffentlicht das Bundesinnenministerium eine Erklärung des Ministers „zu der Diskussion um die Kolumne,All cops are berufsunfähig‘ in der Zeitung die tageszeitung (taz) vom 15. Juni 2020“. Auf zwei Seiten erklärt Horst Seehofer, dass er nun doch keine Strafanzeige gegen die taz stellen werde. Stattdessen wolle er mit der taz-Chefredaktion über die heftig umstrittene Kolumne von Autor_in Hengameh Yaghoobifarah sprechen und sich zudem an den Presserat wenden.

Der Bundesinnenminister hatte zunächst via Bild-Zeitung vom Montag angekündigt, gegen die taz Strafanzeige zu stellen. Er stellte einen Zusammenhang her zwischen den Gewaltausbrüchen in Stuttgart vom vergangenen Wochenende und der taz-Kolumne, sagte er dem Blatt. Nach Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel war Seehofer dann erst einmal von der tagespolitischen Bildfläche verschwunden. Am Mittwochnachmittag schließlich stellte er auf einer Pressekonferenz mit dem österreichischen Innenminister eine zeitnahe Erklärung in Aussicht. Die Entscheidung erfordere „große Sorgfalt“, der Vorfall sei „keine Petitesse“.

Nun erklärt er sich. Mit seiner Einladung an die taz-Chefredaktion setzt Seehofer in die Tat um, was er zuletzt im Innenausschuss des Deutschen Bundestages gesagt hatte. Er frage sich, steht im Protokoll der Sitzung, „warum eine Zeitung einen solchen Wahnsinn veröffentlicht. Die Frage möchte ich schon auch stellen. Da muss man auch mit Medien mal darüber diskutieren.“

In seiner Erklärung vom Donnerstag nun präzisiert er: „Mir geht es bei der von mir angestoßenen Diskussion nicht um Strafverfolgung einer Person und schon gar nicht um einen Eingriff in die Pressefreiheit. Mir geht es im Gegenteil darum, dass wir dringend eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen müssen, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen und wo die Grenzen einer Auseinandersetzung sind.“ Als Innenminister sehe er sich in einer besonderen Verantwortung für die PolizistInnen im Land.

In ihrer Antwort auf Horst Seehofer spricht taz-Chefredakteurin Barbara Junge, von einem „massiven Einschüchterungsversuch und einem beschämenden Angriff auf die Pressefreiheit“ durch den Bundesinnenminister. Sie begrüßt, dass sich Seehofer an der Diskussion über Rassismus und Polizei und den journalistischen Umgang damit beteiligen wolle. Junge schlägt statt eines Treffens im Ministerium in Berlin einen gemeinsamen Besuch der Polizeischule in Eutin vor. In Schleswig-Holstein war es immer wieder zu rassistischen Vorfällen gekommen; mittlerweile hat sich die Einrichtung dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ angeschlossen.

Der Deutsche Presserat hat am Donnerstag bekannt gegeben, mittlerweile ein Verfahren gegen die taz eingeleitet zu haben. Grundlage seien 340 bis zum Mittwoch eingegangene Beschwerden. Damit ist nun auch klar, dass ein Beschwerdeausschuss des Rates über den Fall beraten wird, voraussichtlich am 8. September. Für die Prüfung spielt unter anderem die Ziffer 1 des Pressekodex eine Rolle, wonach die Wahrung der Menschenwürde oberstes Gebot der Presse ist.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) begrüßte Seehofers Entscheidung vom Donnerstag als „einzig mögliche“. Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall merkte dennoch an: „Wenn aus einer plötzlichen Erregung ein Angriff auf die Pressefreiheit resultieren kann, ist in der Bundesregierung etwas faul.“