Die steinerne Torte

50 Jahre ist Warschaus Kulturpalast alt, das Geschenk Stalins, das einst niemand haben wollte. Doch die Warschauer haben sich mit dem Gebäude angefreundet – und profitabel ist es ohnehin längst

VON GABRIELE LESSER

Einst hassten ihn die Warschauer abgrundtief: den Kulturpalast im Zuckerbäckerstil. Das Geschenk Stalins, das niemand wollte. Er war ein Symbol des Kommunismus und der Sowjetmacht in Polen. Doch heute, fünfzig Jahre nach seiner feierlichen Einweihung, überkommt die meisten Warschauer ein Gefühl sentimentaler Nostalgie. Sie haben sich längst mit „Peking“ oder der „Torte“ versöhnt, wie sie den „Palast der Kultur und Wissenschaft“ in Kurzform und fast liebevoll nennen.

Trotzdem gibt es zu seinem 50. Geburtstag keine große Feier. Christo packt ihn nicht ein. Niemand malt ihn witzig an. Nicht einmal zu einer großen roten Schleife reicht es. Und selbst die Kunstausstellung zu seinen Ehren bringt es fertig, den Palast zum Verschwinden zu bringen – ganz so wie im berühmten Witz: „Wo ist es in Warschau am schönsten?“ – „Auf dem Kulturpalast. Da sieht man ihn nicht!“

Polens führendes Meinungsblatt Gazeta Wyborcza veröffentlicht zwar eine Geburtstagsbeilage mit schönen Fotos von Marmor, Kristalllüstern und dem geheimnisvollen Ein-Mann-Aufzug, fragt jedoch mit leicht geniertem Unterton: „Sollen wir ihm ein Ständchen singen?“

Denn das Geschenk Stalins zu feiern geziemt sich schließlich nicht. „Ohne Zweifel hat der Palast Warschau geschadet“, beginnt der Hauptartikel wie eine Abrechnung. Ein ganzes Häuserviertel im Zentrum der Stadt habe gesprengt werden müssen, um Platz für das zu große Gebäude zu schaffen. Wie ein gigantischer Stahl-Beton-Pflock sei der Palast Warschau mitten ins Herz gestoßen worden. Davor ein toter Aufmarschplatz für Militärparaden. Das Baracken-Provisorium rund um den Palast hätten selbst mehrere Architekturwettbewerbe nicht beseitigen können.

Im Palast selbst aber pulsiert das Leben wie eh und je. Anders als befürchtet bekommt „Peking“ der Kapitalismus richtig gut: Die Partei zog aus, das Spielcasino ein. Seither locken drei Theater, ein Kino, zwei Museen, ein Kongresssaal für knapp 3.000 Menschen, ein Schwimmbad, Bibliotheken, Sprachschulen, Restaurants und Cafés, zahlreiche Firmen, eine Bank, eine Post, 40 Fahrstühle und 25 Kellerkatzen.

„Zu diesem Denkmal des Sozrealismus müssen wir nicht mehr zuzahlen“, schreibt Dariusz Bartoszewicz in der Gazeta Wyborcza. „Der Palast verdient sein Geld selbst und bringt der Stadt sogar noch Gewinn. Statt ihn zu sprengen, sollten wir ihn modernisieren und auf den neuesten Stand der Technik bringen.“ Dass der Kulturpalast zum Wahrzeichen Warschaus wurde, will Bartoszewicz nicht anerkennen, doch die gläsernen Wolkenkratzer rundherum gäben der „Torte“ ein fast pittoreskes Aussehen: „Singen wir ihm also ein Geburtstagsständchen“, meint er zum Schluss, fügt aber aus altem Reflex hinzu: „aber mit zusammengebissenen Zähnen!“