„Selbstmordattentäter tun nichts fürs Volk“

Wenn die USA den Irak sich selbst überlassen würden, bräche das Land zusammen, meint die stellvertretende irakische Ministerin für Menschenrechte, Aida Osseyran. Die Iraker brauchen noch Zeit, bis sie für Sicherheit sorgen können

taz: Frau Osseyran, was sind Ihre Hauptprobleme heute im Ministerium für Menschenrechte?

Aida Osseyran: Die Leute wissen nicht, dass sie Rechte haben. Wenn man während der Diktatur die eigenen Rechte einforderte, wurde man geköpft. Deshalb lehren wir Menschenrechte an Schulen, Universitäten und in den Ministerien, insbesondere im Innenministerium. Wir haben außerdem Teams an den Massengräbern. Es gibt viele Massengräber, und niemand weiß, wo seine Angehörigen begraben sind. Außerdem arbeiten wir daran, ein Zentrum für Verschwundene aufzubauen.

Was ist Ihnen in Bezug auf Frauen besonders wichtig?

Wir haben noch kein neues Familienrecht, wir haben keine Gesetze für Frauenrechte, deshalb haben wir eine Frauenabteilung für Gender und Menschenrechte und für Gleichberechtigung und Förderung von Frauen.

Im Irak war das Bildungsniveau von Frauen relativ hoch.

Frauen hatten ein hohes Bildungsniveau – vor 35 Jahren. Seit damals war der Irak von der ganzen Welt isoliert: Kein Satellitenfernsehen, nur Bilder von Saddam und seiner Familie, keine Zeitungen, kein freier Rundfunk. Deshalb haben sich die Frauen im Irak verändert. Man muss wieder von vorne anfangen.

Die Bedingungen für Frauen haben sich im Irak also drastisch verschlechtert?

Wir arbeiten jetzt an einem neuen Familiencode und wir hoffen, dass sie das aufnehmen werden. Aber jetzt gehören die meisten Frauen im Parlament den fundamentalistischen Islamisten an. Diese Frauen kennen nichts außer dem Koran. Und den interpretieren sie falsch. Es gibt aber auch viele liberale Demokraten im Parlament, und ich bin sicher, dass wir durch Bildung und durch die Unterstützung der Welt etwas bewirken können.

Normalerweise, wenn es in einem Land bewaffnete Aktionen gibt, verschlechtert sich die Situation von Frauen: Sie können das Haus nicht mehr verlassen.

Jede Frau kann ausgehen. Es gibt Entführungen, aber das trifft auch Männer.

Es gibt keine Einschränkungen für junge Frauen, das Haus zu verlassen?

Nein. Sie gehen zur Universität, zur Schule, sie gehen einkaufen. Aber viele tragen Schleier, das müssen sie. Saddam hat das von ihnen verlangt. Und man kann ihnen ihren Schleier nicht nehmen. Aber die junge Generation kann man informieren, kann ihnen sagen, dass das falsch ist, wenn man nicht daran glaubt, und dass selbst der Koran das nicht verlangt.

Wie problematisch ist das Verhalten der Amerikaner im Irak?

Sie sind natürlich Besatzer, aber wenn sie nicht interveniert hätten, wären wir Saddam nicht losgeworden. Glauben Sie mir: Die Iraker selbst hätten das nicht geschafft.

Aber jetzt brechen die US-Soldaten in irakische Wohnhäuser ein, erschießen Leute.

Manchmal verhalten sie sich falsch,doch die meiste Zeit verhalten sie sich richtig. Ich bin immer gegen Besatzung gewesen. Ich will Souveränität und Freiheit, und ich bin keine Marionette der Amerikaner. Aber wenn sie jetzt dort sind, ist es sicherer, als wenn sie das Land verlassen würden. Wer soll sich denn den Mördern entgegenstellen? Wenn sie das Land verlassen, wird alles zusammenbrechen.

Mischen Sie sich ein, wenn die Amerikaner sich falsch verhalten?

Natürlich. Wir haben Teams in den Gefängnissen, und wir registrieren jedes Fehlverhalten von ihnen. Im Gefängnis von Abu Ghraib, in Umm Qasr, im Bukkagefängnis. Und wenn sie was falsch machen, gehen wir zu den Verantwortlichen und sagen ihnen, was los ist in den Gefängnissen.

Sind Sie damit zufrieden, wie mit den angeklagten US-Soldaten umgegangen wird?

Nein, natürlich noch nicht. Aber nicht nur sie benehmen sich falsch. Die Kultur im Innenministerium und in der Polizei ist eine Fortsetzung der Saddam-Kultur. Wir müssen auch unsere Soldaten verändern.

Mir scheint, je länger die Amerikaner bleiben, desto mehr Selbstmordattentäter wird es geben, und je mehr Selbstmordattentäter, desto länger bleiben sie?

Die Selbstmordattentäter wollen keinen freien Irak. Sie wollen keine Demokratie und keine Rechte für das Volk. Saddam hat sich vor seinem Ende überlegt, dass er vielleicht den Krieg verlieren könnte und hat 11.000 Mörder und Kriminelle aus den Gefängnissen entlassen. Das sind die Leute, die heute Probleme machen.

Glauben Sie, die Amerikaner werden in der Lage sein, im Irak ein System zu errichten, das Selbstmordattentate verhindert?

Ich weiß es nicht. Auf mittlere Sicht müssen wir die Verantwortung übernehmen, aber wir sind noch nicht so weit. Wenn unsere Polizisten und Soldaten erst mal qualifiziert sind, dann können sie abziehen.

Wann wird das sein?

Das weiß ich nicht.

INTERVIEW: ANTJE BAUER