Helden der Reflexion

OPER Alexander Zemlinskys „Eine florentinische Tragödie“ und „Der Zwerg“ überzeugen am Goetheplatz – weil Ai Weiweis Bühnenbild sie nicht erschlägt und die Philharmoniker spielend ihr Limit erweitern

Eine Fachwerkwolke im schwarzen Himmel, ein Skelett der höfischen Gesellschaft oder gar nur schnödes Requisit für deren sadistische Ballvergnügungen, ein Kronleuchter – das alles ist denkbar. Und mehr: Stundenlang ließe sich rätseln, was diese Konstruktion aus weißlackierten, flexibel verbundenen Balken bedeuten mag, die bedrohlich schwer über der scheinbar leichten Szenerie von „Der Zwerg“ schwebt. So wie ein kurioser Turm aus Fahrradteilen einen spielerischen Kontrapunkt zur unheilschwangeren Atmosphäre von „Eine florentinische Tragödie“ setzt.

Die beiden gegensätzlichen Einakter, von Alexander Zemlinsky Anfang der 1920er nach Stoffen von Oscar Wilde komponiert, bündelt man seit Ende der 1970er zu einem Opernabend. Stimmig wird der, wenn das Bühnenbild eine eigenständige Rolle übernimmt, wie jetzt am Goetheplatz-Theater. Denn dürftig ist die äußere Handlung: Die Tragödie besteht darin, dass der Kaufmann Simone, der seine Frau beim Flirt mit Prinz Guido trifft, diesen nach einer Stunde lauernd-bösartiger Konversation erwürgt. Und der Zwerg, den die Infantin von Spanien zum Geburtstag erhält, geht zu Grunde, weil er erfährt, dass er klein und hässlich und der Prinzessin als Spott-, nicht Liebesobjekt diente. Eine eigenständige Rolle fürs Bühnenbild heißt, es darf nicht dominieren, muss aber zu Denken geben – ganz wie hier geglückt: Funktional sind die Kulissen, aber nie nur Requisit, ein Anker für Inszenierung und Lichtregie, in schwebender Beziehung zum Geschehen. Ai Weiwei ist ihr Urheber. Und dass der für Bremen arbeitet, ist eine Nachricht.

Denn Weiwei ist ein Held der Gegenwartskunst: Bei der Documenta 2007 war er der unumstrittene Star, obwohl die Kasseler Kunstschau doch Synopse aller zeitgenössischen Strömungen ist. Auch dass von den olympischen Spielen in Peking ein Bild in den Köpfen blieb, liegt an ihm: Das Schwalbennest-Stadion hat der Dissident ersonnen – was ihm ermöglichte, die Eröffnungsfeier öffentlichkeitswirksam zu boykottieren.

Seine autonomen Gebilde für den Bühnenraum entsprechen, als Reflexionen der Handlung, aufs Glücklichste den Kompositionen Zemlinskys: Ja, mit dem Kaufmann Simone hat der eine Extrempartie für Bariton geschaffen, und Carsten Wittmoser gestaltet die rund 45 Minuten Sologesang prachtvoll und mit intelligenter Spannung. Der Zwerg hingegen ist eine Ensemble-Oper, bei der sich Licht – Titelrolle Peter Marsh – und Schatten, wie der Pullmoll-bedürftige Haushofmeister Loren Lang, die Waage halten. Doch das Herz beider Stücke schlägt jenseits der Szene – im Orchestergraben: Wie kein anderer lotet Zemlinsky dort Zweideutigkeiten des Gesagten und Abgründe des Nicht-Gesagten aus. Farbenreicher als Mahler, transparent wie Débussy zwingt die Partitur die Philharmoniker unter Markus Poschner weit oberhalb von dem zu spielen, was man bislang für ihr Limit hielt. Und dabei so brillant, dass man’s kaum merkt. bes