Der diffuse Ministerpräsident

Baden-Württembergs Landesvater Günther Oettinger (CDU) scheut sich vor einer frühen Bilanz seiner Regierung. Aber schon kommenden März muss er sich dem Wähler stellen

FRANKFURT taz ■ „Esch isch noch ze früh!“, sagte der badenwürttembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (51) gestern. Nach 100 Tagen Regierungszeit sei er noch „in der Startphase“. Und gestand ein: „Wir sind fleißig. Wir machen Fehler.“ Dabei hat er gründlich gerackert, um die Gunst der Wähler für die Landtagswahlen im nächsten März zu gewinnen. Die eigene Partei machte es ihm das nicht leicht – sie lastet ihm an, Vorgänger Erwin Teufel aus dem Amt geschubst zu haben.

Der bei seiner Amtsübernahme im April 2005 erhoffte frische Wind für die CDU im Südwesten ist eher Flaute. Einst galt Oettinger in der Partei als „junger Wilder“. Gefürchtet waren seine Reden, stundenlang hölzernes Stakkato. Oettinger lässt nichts aus, seine Beliebtheit zu steigern. Er tingelt durch die Talkshows, präsentiert sich als Weintrinker, als Gitarren-, Klavier- und Tennisspieler, lässig in Freizeitkleidung. Er lässt sein Körperfett messen und signalisiert: „Ich halte mich fit.“ Dass er seinem wegen der Schirmherrschaft für den Christopher Street Day vergangene Woche schwer angegriffenen Freund und Sozialminister Andreas Renner mit einer Grußadresse beisprang, lobte eher die Opposition als die eigene Partei.

Die Bilanz der ersten 100 Tage, die er nun selbst nicht ziehen mag, fällt dennoch seltsam profillos aus. Er gilt als begabter Analytiker, der sich seine Netzwerke aus dem Hintergrund herausschafft, und als Machtmensch, andererseits bei Entscheidungen aber auch als Zauderer. Kritiker werfen Oettinger deshalb vor, er habe mit Erneuerung geworben, setze die alte Politik aber fast ungebrochen fort.

Seine eigenen Akzente blieben trotz Kabinettsumbildung, Haushaltssperre und rigide verordneter Einsparungen von 100 Millionen Euro vage. Erst lehnte er eine Mehrwertsteuererhöhung ab, dann schwenkte er um. Von seinem 126-Punkte-Programm ist kaum etwas umgesetzt – Marginalien nur, wie das unter dem sparsamen Teufel undenkbare Getränkeangebot für die Landespressekonferenz und Kabinettssitzungen außerhalb der Villa Reitzenstein. Besonders heftige Kritik ereilte ihn kurz vor Ablauf der 100-Tage-Frist bei einer Hoteleröffnung in Sinsheim. Eine Altlast der Regierung Teufel habe ihn, sagte er hinterher, erst auf der Fahrt dorthin in Form eines Aktenvermerks erreicht. Bis dahin, so Oettinger, habe er keine Ahnung gehabt, dass die Sinsheimer ihren Messebetrieb zugunsten der Landeshauptstadt Stuttgart abgeben müssen. Er hielt seine Rede und verschwieg die Neuigkeit.

Dieser Konflikt, ebenso wie der Streit um den Christopher Street Day, sorgte im Ländle nur mangels wirklicher Strukturveränderungen in der Politik für wochenlange Aufregungen. Oettinger sei, schalt die SPD, führungsschwach, schlicht „feige“ und ein „Umfaller“. Die Grünen klagten eine umweltfreundliche Energiepolitik ein und vermissten die vor der Amtsübernahme versprochenen Mittel für Familien und Kinder. Sogar der Koalitionspartner FDP stichelte, Oettinger sei „diffus“.

Für den von Teufel geprägten Verwaltungsapparat gilt der Neue als so etwas wie ein Kulturschock. Ständig sei er unterwegs, tauche unerwartet auf, fordere Teamarbeit ein und flitze wieder fort. Er sei einer, der selbst eingefangen werden müsse und nicht das Talent habe, andere zu führen. Die Skandale im Südwesten unter Oettinger sind vorerst eher Skandälchen und hätten seinen Vorgängern sicher nicht geschadet. Die allerdings hatten noch Geld zu verteilen. Der als Wirtschafts- und Finanzexperte angetretene Oettinger sitzt vor leeren Landeskassen. Eine seiner Initiativen, die private Finanzierung öffentlicher Projekte, ist vor zwei Tagen vom Kabinett blockiert worden. HEIDE PLATEN