KEIN DUMMER WESSI
: Mysteriöse Inschrift

Aber mit Druck erreichst du gar nichts

Es war einer dieser herrlichen Spätsommertage im September: warm, aber nicht heiß, dazu ein angenehmes Lüftchen und freundliche, nicht stechende Sonne.

Wir fuhren an einen See kurz hinter der Stadtgrenze. Das Strandbad – sonst zahlen wir dort gern Eintritt, weil dann jemand den Müll beseitigt – war offen und kostenlos zugänglich. Es lag verwaist da, der Imbiss hatte geschlossen, und am Ufer balgten sich ein paar Schwäne um Essensreste.

Wenig später planschten unsere Kinder im flachen Wasser und buddelten im Sand. Wir saßen daneben auf der Decke und führten eine dieser wiederkehrenden Ost-West-Diskussionen. Meine Frau, wie Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm eine schöne Lüneburgerin, meinte, dass das Lernen freiwillig sein und in allererster Linie Spaß machen müsse. Ich, ein Brandenburger, betonte hingegen, dass auch Lernwillen und Leistungsbereitschaft nicht zu kurz kommen dürften. Zumal, wie ich meinte, es ein Unding sei, dass Schüler heutzutage Abi machen könnten, ohne halbwegs fehlerfrei Deutsch und Prozentrechnung zu beherrschen, von den nicht ausbildungsfähigen Jugendlichen ganz zu schweigen, die jährlich zuhauf Haupt- und Realschulen verließen. „Aber mit Druck erreichst du gar nichts“, erwiderte meine Frau.

Das Gespräch endete abrupt, weil unsere Kleine schrie, nachdem unser Großer sie umgeschubst hatte. Nach einem erfrischenden Bad im klaren, kalten Wasser liefen wir zurück zum Parkplatz. Neben unserem Wagen parkte nun ein Auto, auf dessen Heckscheibe eine mysteriöse Inschrift in kyrillischen Buchstaben stand. Nach ein paar Augenblicken hatte ich meine Russisch-Kenntnisse aus Schulzeiten reaktiviert und las laut den deutschen Satz, der sich daraus ergab: „Wer das lesen kann, ist kein dummer Wessi.“ Wir lachten beide. RICHARD ROTHER