berliner szenen
: Meine Freundin zahlt gleich

Ich sitze auf einer sonnigen Terrasse, vor mir einen schaumigen Cappuccino und ein Croissant. Es ist kein Traum und keine Szene der Vergangenheit. Es ist Sonntag und ich habe die Stadt durchradelt, um eine Freundin an der Krummen Lanke abzuholen und weiter mit ihr nach Potsdam zu fahren. Wir haben uns seit zwei Monaten nicht (live) gesehen. Ich bin aufgeregt, und vielleicht deswegen komme ich zu früh an.

Ich entscheide mich, zur Bäckerei zu gehen und das erste Mal seit Mitte März mir einen von anderen Menschen gemachten Kaffee zu gönnen. Es kommt mir vor, als würde ich eine Massage am Strand verlangen. Die Kellnerin trägt einen geblümten Mundschutz und gießt die Blumen, die in riesigen Töpfen zwischen den Tischen verteilt sind. „Es macht 3,80“, sagt sie, und ich stelle fest, dass ich kein Bargeld bei mir habe. „Meine Freundin zahlt gleich“, sage ich und lächle. Sie verschwindet wortlos und ich glaube, dass sie auch nicht zurücklächelt, aber wegen des Mundschutzes bin ich nicht sicher. Andere Gäste beobachten mich, als wäre ich gerade von einem anderen Planeten gelandet. Doch meine gute Laune ist an diesem Morgen wie eine Superkraft. Dazu schmeckt das Croissant wunderbar.

Eine Frau mit Hund bleibt vor meinem Tisch stehen, schaut sich um und guckt immer wieder zu mir mit verwirrter Miene. „Sitze ich auf Ihrem Platz?“, frage ich und bekomme wieder keine Antwort. Ein Mann telefoniert und sagt, dass er noch auf die Bedienung warte. Er lacht mit einem „hoho“ und erfüllt in meinem Kopf das Klischee eines Geschäftsmannes. Als meine Freundin plötzlich auftaucht, ist es, als würde ich eine heilige Erscheinung sehen. Vor lauter Begeisterung kippe ich den Rest meines Cappuccinos auf den Tisch. Alle drehen sich zu uns um. Wir klatschen und mimen mit großen Gesten eine Umarmung. Luciana Ferrando