: Wer ist hier der Boss?
Im wohl vorentscheidenden Duell um die Meisterschaft zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München will BVB-Profi Emre Can eine besondere Rolle spielen
Aus Dortmund Daniel Theweleit
Die Frühlingswochen, in denen Jahr für Jahr die entscheidende Phase der Bundesliga beginnt, haben den Dortmundern zuletzt eine Serie grausamer Erlebnisse beschert. Die Spielplaner terminieren das global beachtete Duell gegen den FC Bayern zuverlässig ins spannendste Saisonviertel, und genauso zuverlässig setzte es krachende Niederlagen für den BVB. Einem 1:4 im Jahr 2017 folgten ein 0:6 sowie ein 0:5 im Jahr 2019 – Momente, in denen die Münchner mit all ihrer Autorität klarstellten, wie die Hierarchie in der Liga aussieht. Doch nun soll alles anders sein. Erstmals seit 2016 findet das große Topspiel in einer Rückrunde in Dortmund statt. Und Michael Zorc sieht noch einen weiteren „ganz wichtigen Faktor“, der den Ausschlag für den Tabellenzweiten geben könnte. Der BVB habe in der Winterpause „mit Emre (Can) und Erling (Haaland) zwei Winnertypen dazubekommen“, sagt der Sportdirektor.
Die Debatte über die Mentalität des Teams ist im Umfeld des BVB nun über Jahre bis zur völligen Erschöpfung geführt worden, erst die Ankunft des unglaublichen Torjägers Haaland und des ehrgeizigen Can hat diese Diskussion ein Stück leiser werden lassen. 27 von 30 Punkten hat die Mannschaft seit Weihnachten in der Bundesliga gesammelt, nun sagt Zorc vor dem Duell mit den Bayern: Es geht darum, „dass wir an uns selbst glauben, dass wir unser Selbstbewusstsein, das wir in den meisten Spielen haben, auch zeigen“. Führungskräfte wie Mats Hummels, Roman Bürki oder Łukasz Piszczek sollen das Team durch „Phasen“ führen, „wo wir vielleicht nicht dominieren“, fordert Zorc. Besonders genau werden viele Beobachter aber auf Can blicken.
Die Frage, ob der BVB sich wirklich weiterentwickelt hat, wird sich erst beantworten lassen, wenn die Transfers auch in den entscheidenden Momenten einer Saison Früchte tragen. „Klar bin ich noch nicht lange hier, aber es ist mein Anspruch, voranzugehen, Leistung zu bringen, jeden mitzuziehen“, sagt Can vor der Partie gegen den FC Bayern. Fast überall, wo der 26 Jahre alte Mittelfeldspieler auftaucht, fällt ihm eine besondere Rolle zu. Er war Spielführer in Jugendnationalteams, und beim FC Liverpool erklärten ihn Experten schnell zum designierten Nachfolger der Klublegende Steven Gerrard. „Wenn ich gesund war, war ich immer Stammspieler, über vier Jahre“, blickt der Can auf seine vier Jahre in der Premier League zurück: „Das vergessen viele.“ Jürgen Klopp machte ihn zum Kapitän des FC Liverpool, und schon als ganz junger Fußballer in England sagte der gebürtige Frankfurter: „Ich bin erst 21, aber der Spielertyp, der auf dem Platz auch spricht. So bin ich, und so war ich schon immer. Deshalb übernehme ich im Spiel auch gerne eine Führungsrolle.“
Can spielt seit 2015 in der Nationalmannschaft, Stammspieler wurde er aber erst, nachdem sich Bundestrainer Joachim Löw nach dem WM-Desaster von 2018 von seinen Titelhelden aus Brasilien trennte. Und Liverpool verließ er genau ein Jahr vor dem großen Triumph des Teams in der Champions League 2019 – obwohl Klopp ihm eine Vertragsverlängerung angeboten hatte. „Ich hatte das Gefühl, dass mir eine neue Umgebung guttun würde, um mich weiterzuentwickeln, um jeden Tag mit voller Motivation meiner Arbeit nachzugehen“, erzählt er.
Als ganz junger Spieler arbeitete er unter Jupp Heynckes beim FC Bayern und erlebte eine ganze Sommervorbereitung in München mit Pep Guardiola. Anschließend etablierte er sich in Leverkusen, es folgten die Liverpool-Jahre und weitere Weltkluberfahrungen bei Juventus Turin, wo er mit Ronaldo, Buffon oder Khedira zusammenspielte. Nun ist er 26 und soll den BVB so stabilisieren, dass endlich mal wieder ein großer Rückrundensieg gegen die Bayern gelingt. Denn das Ziel ist „auf jeden Fall“ die Meisterschaft, sagt Can. Er ist ohnehin ein Typ, dem Ankündigen dieser Sorte besonders leicht über die Lippen gehen. „Ich bin zum BVB gekommen, um Titel zu gewinnen.“
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