Die netten Nazis von nebenan

Ehringshausen und Königstein: zwei Hochburgen für rechte Politiker. Doch in Sachsen gelingt der NPD die kommunale Verankerung besser als in Hessen. Warum?

VON TORALF STAUD

Königstein in Sachsen ist ein idyllisches Städtchen. Im historischen Ortskern drängen sich Kirche, Rathaus und kleine Läden um enge Gässchen; das Ganze ist umgeben von lieblicher Landschaft, den dunklen Wäldern des Nationalparks Sächsische Schweiz und den schroffen Felsen des Elbsandsteingebirges. Hymnisch besangen Dichter die Schönheit der Region. Bei der letzten Kommunalwahl hat die NPD hier 21,1 Prozent der Stimmen bekommen.

Ehringshausen in Mittelhessen. Neun Dörfer sind zu der Großgemeinde zusammengeschlossen. Besondere Sehenswürdigkeiten gibt es keine, aber der Ort liegt im malerischen Tal der Dill. Johann Wolfgang von Goethe höchstpersönlich, dessen „Leiden des jungen Werther“ im nahen Wetzlar spielt, lobte die Gegend einst wegen der „unaussprechlichen Schönheit der Natur“. In Ehringshausen ist man stolz auf die Industrie- und Bergbautradition, die zurückreicht bis ins Jahr 1600. Auch heute gibt es einige florierende Unternehmen am Ort, die Arbeitslosenquote liegt unter dem Landesdurchschnitt. Seit Jahren sitzt die NPD im Gemeinderat, 1997 errang sie mit 22,9 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis.

Königstein und Ehringshausen sind Hochburgen der NPD, in beiden Gemeinden ist die Partei fest verankert. Aber in Sachsen breitet sich die NPD aus, ihre Wahlergebnisse sind seit Mitte der 90er-Jahre stetig gestiegen, nach Königstein hat sie auch in den benachbarten Kommunen Mandate gewinnen können. Im Kreistag der Sächsischen Schweiz ist sie mittlerweile drittstärkste Partei, im Herbst 2004 gelang ihr sogar der Einzug in den Sächsischen Landtag. In Hessen dagegen kommt die NPD nicht recht voran. Zwar ist sie außer in Ehringshausen noch in einigen umliegenden Städten vertreten. Aber bei den letzten Wahlen hat sie deutlich Stimmen eingebüßt. Und niemals seit Ende der 60er-Jahre hatte die NPD hier auch nur den Hauch einer Chance, bei Landtagswahlen in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde zu kommen.

In Hessen ist die Gesellschaft weitgehend einig in der Stigmatisierung der NPD. Als sich vor ein paar Jahren in Ehringshausen – nach langer Gleichgültigkeit – Widerstand gegen die Partei regte, schlossen sich große Teile der Bevölkerung an. Ganz anders in Sachsen, wo häufig nicht die Rechtsextremisten die Außenseiter sind, sondern jene, die sich gegen sie engagieren, wo Polizei, Behörden und Politiker der demokratischen Parteien oft unsicher oder ignorant sind.

Den Strategen der NPD ist klar, wie wichtig für ihre Partei eine direkte Nähe zu Bürgern (und Wählern) ist. „Revolutionärer Weg konkret: Schafft Befreite Zonen!“, hatte ein Aufsatz in der Vordersten Front, der Zeitschrift des Nationaldemokratischen Hochschulbundes NHB, gefordert. Damit war gemeint, bestimmte Orte von Ausländern und Andersdenkenden zu säubern, aber auch: „Befreite Zonen sind Plätze, wo die Menschen unsere Worte an unseren Taten messen können.“

Die rechten Vordenker wissen, dass ihre Anhänger bisher eher durch Gewalt und Hass aufgefallen sind, deshalb komme es auf strenge Disziplin an. Zudem, hieß es in der Parteizeitung Deutsche Stimme, müsse „der Vereinsarbeit mehr als bisher von nationalistischer Seite Rechnung getragen werden“, aber statt neue Vereine zu gründen, solle man lieber bestehende unterwandern. „Das Betätigungsfeld reicht hierbei von der Freiwilligen Feuerwehr über die verschiedensten Sportarten, wobei sich insbesondere die ‚Volkssportarten‘ anbieten, wie Fußball und Boxen; aber auch der Naturschutz, die Jugendarbeit und die lokale Kulturarbeit.“ Das Ziel ist klar: „Erst wenn auf der kommunalen und Kreisebene die NPD präsent ist, wird ein landesweiter oder gar bundesweiter Wahlerfolg möglich sein.“

Uwe Leichsenring, 38, ist der lebende Beweis dafür, dass die Strategie aufgehen kann. In die NPD ist er 1990 eingetreten, ab Mitte der Neunzigerjahre hat er seine Partei in der Sächsischen Schweiz Schritt für Schritt aufgebaut. Seit Herbst 2004 sitzt er im Landtag, ist dort Parlamentarischer Geschäftsführer der NPD-Fraktion.

In Königstein kennt man Leichsenring als netten Nachbarn. Er ist ein jovialer Typ, spielt im Tischtennisverein, betreibt die einzige Fahrschule am Ort, was sich als äußerst hilfreich erwiesen hat, um in Kontakt zu Jugendlichen zu kommen. Das erste Mal kandidierte er zur Kommunalwahl 1999. Da bekam er die zweithöchste Stimmenzahl. Bei der Kommunalwahl 2004 konnte er sich schon leisten, Plakate zu kleben, auf denen nur sein Porträt zu sehen war und der Schriftzug „Uwe“. Er holte 21,1 Prozent.

„Uns ist klar, dass man ein Haus nicht mit dem Dach anfängt“, sagt Leichsenring. Die Revolution kann warten. Er kümmert sich in der Kommune um die kleinen Probleme der Bürger, um Abwasserprobleme, den Straßenbau. Im Stadtrat fragt er zum Beispiel nach, wann denn endlich die kaputte Tür im Jugendclub Pfaffendorf repariert werde. Einer seiner Fahrschüler hatte ihm von dem Missstand erzählt.

Königsteins Bürgermeister Friedel Haase versucht durchaus, Leichsenrings Propaganda zu demontieren. Vor einiger Zeit hat er auf anderthalb Seiten die NPD-Vorschläge zerpflückt: Die wolle beispielsweise, dass Hauseigentümer für die Einrichtung ihres Abwasseranschlusses nicht mehr zur Kasse gebeten werden. „Als Deckungsvorschlag wird das Streichen der Stelle des Ausländerbeauftragten genannt, solch eine Stelle gibt es nicht in unserem Bereich“, schrieb Haase.

Das Gesicht der NPD in Ehringshausen ist das Ehepaar Zutt. Alfred Zutt, 71, arbeitete viele Jahre als Maschinenschlosser im örtlichen Buderus-Werk. Seine Frau Doris, 50, ist Altenpflegerin. Er ist schon seit 1967 in der NPD, sie folgte ihm 1982. Seit Jahren sitzt Doris Zutt im Bundesvorstand der Partei, sie ist dort die einzige Frau. Erstmals kandidierten die beiden 1989 für den Ehringshäuser Gemeinderat, kamen gleich auf 6,2 Prozent und zwei Sitze. Bis 1997 konnten sie ihr Ergebnis auf 22,9 Prozent steigern, doch bei der letzten Kommunalwahl 2001 stürzten sie tief, auf 7,1 Prozent – das war mitten in der NPD-Verbotsdebatte.

Bis dahin hatten die anderen Parteien sie als normalen Partner behandelt. Lange Zeit war die NPD im Gemeinderat von Ehringshausen das Zünglein an der Waage: Die SPD hatte 15 Sitze. CDU und freie Wähler verfügten zusammen nur über 14, aber gemeinsam mit den beiden Stimmen der NPD konnten sie ihre Politik durchsetzen. Und das taten sie. Die NPD wählte den Bürgermeisterkandidaten der Konservativen mit, im Gegenzug bekam Doris Zutt den Vorsitz des Umweltausschusses. Alfred Zutt sagt im Rückblick: „Wir haben die anderen immer gegeneinander ausgespielt.“

Die Reden der Zutts sind meist populistisch, stets beklagen sie die Belastung der Bürger durch Abgaben und Gebühren. Viele ihrer Anträge sind – offen oder verdeckt – rassistisch. Alfred Zutt sagt, sie machten Politik „zum Wohle der Bürger“. „Für die deutschen Bürger“, stellt seine Frau klar. In den Haushaltsberatungen verlangen sie, Sprachkurse für türkische Frauen nicht mehr zu fördern. Sie fordern für Einheimische ermäßigten Eintritt in der örtlichen Schwimmhalle – „es würde den Rahmen sprengen, wenn das auch für Gäste gälte“, sagt Doris Zutt. Mit Gästen meinen die Zutts im Ort wohnende Zuwanderer, egal wie viele Jahrzehnte sie schon in Deutschland leben und Steuern zahlen, egal ob sie noch einen türkischen Pass haben oder längst den deutschen. Damit kamen sie lange Zeit gut an in Ehringshausen.

In einer detailreichen Dissertation hat der Freiburger Politologe Peter Wagner untersucht, warum sich die NPD in drei baden-württembergischen Städten seit den 70er-Jahren hat verankern können. In Tuttlingen, Villingen-Schwenningen und Weinheim fand er etliche Abweichungen vom Durchschnitt der alten Bundesländer – Abweichungen, die jedoch in den Neuen Ländern Normalität sind. In „protestantischen und später weitgehend säkularisierten Gemeinden“, so Wagner beispielsweise, könne sich die NPD leichter verankern (in der ehemaligen DDR sind nichtsäkularisierte Gemeinden die Ausnahme). Eine schwache Sozialdemokratie nütze ebenfalls den Rechtsextremisten (in Sachsen ist die SPD seit 1990 nicht auf die Beine gekommen und lag bei der letzten Landtagswahl mit 9,8 Prozent nur noch 0,6 Punkte vor der NPD). Den untersuchten Kommunen ist gemeinsam, dass ihre lokale Identität von einer „Grenzlage in der übergeordneten territorialen Einheit“ geprägt ist (was viele Ostdeutsche heute genauso empfinden). In allen drei Städten hat es Probleme beim wirtschaftlichen Strukturwandel gegeben (in den neuen Ländern ist er seit 1989 desaströs verlaufen).

Eine der Hauptthesen Wagners lautet: „Günstig für die NPD sind Situationen mit einer ‚gewissen Statusunsicherheit‘, bei der die Perzeption einer relativen Benachteiligung bereits ausreicht.“ Dies ist eine ziemlich genaue Beschreibung der ostdeutschen Gefühlslage. Und noch etwas ist den westdeutschen NPD-Hochburgen gemeinsam: Gegenaktivitäten blieben in diesen Orten „lange Zeit vor allem Gewerkschaften, Jugendorganisationen oder linken Gruppierungen überlassen“. In Sachsen hat die allein regierende CDU das Vordringen der NPD lange Zeit ignoriert, Kurt Biedenkopf erklärte noch im Jahr 2000 allen Ernstes, seine Landeskinder hätten „sich als völlig immun erwiesen gegenüber rechtsradikalen Versuchungen“.

Ein wichtiger Unterschied geht aus Wagners Studie ebenfalls hervor: „Expansionsversuche ins Umland waren stets erfolglos“, heißt es da über die isolierten Hochburgen in den alten Ländern, weil eine „ausgeprägte rechte Subkultur“ fehlte. Dies aber ist in den neuen Ländern vollkommen anders. Allein in Sachsen verfügt die Partei heute über 42 kommunale Mandate – so viele wie 1991 in allen West-Bundesländern zusammen. Überall in Sachsen, wo die NPD 1999 erste Sitze hatte erringen können – in der Sächsischen Schweiz, in Riesa, Meißen und Wurzen – hat sie bei den Wahlen 2004 zugelegt. Weitere Erfolge bei den nächsten Kommunalwahlen sind so gut wie sicher: Als Landtagspartei kann sie nun, ohne noch Unterstützungsunterschriften für kommunale Kandidaten sammeln zu müssen, überall antreten.

In Ehringshausen hat sich der Umgang mit der NPD geändert, nachdem sie 1997 ihren 22-Prozent-Erfolg errang – aber so richtig dreht sich der Wind erst, als im Jahr 2000 die ganze Öffentlichkeit über ein NPD-Verbot diskutierte. Nun hielten die anderen Ratsparteien die NPD nicht mehr für normal und schlossen sich gegen sie zusammen. Bei der CDU mag zum Umdenken beigetragen haben, dass sie mittlerweile nur noch viertstärkste Partei und hinter die NPD zurückgefallen war.

Außerdem hatte in der Zwischenzeit mitten im Ort „Zutts Patriotentreff“ eröffnet, ein Laden für rechtsextreme Literatur und Musik. Von weit her reisten nun Skinheads nach Ehringshausen, um sich mit Bomberjacken und Springerstiefeln auszurüsten. In einem „Ehringshäuser Bündnis“ schlossen sich die demokratischen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Vereine zusammen, auch der einst mit NPD-Stimmen gewählte Bürgermeister war dabei. „Wir haben vielleicht zu lange geschwiegen“, hieß es in einem offenen Brief. Als die NPD ihren Parteitag in Ehringshausen abhielt, gab es Friedensgebete, alle Kirchenglocken läuteten Sturm. Bei der folgenden Wahl stürzte die NPD ab. Und der „Patriotentreff“ ist inzwischen wieder geschlossen.

In Ehringshausen sind die Zutts allgemein bekannt, doch sie stehen am Rand der Gesellschaft. In ihren „Patriotentreff“ haben sich Normalbürger nie verirrt. Ganz anders in der Sächsischen Schweiz: Hier heißt der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Johannes Müller und praktiziert als Arzt in Sebnitz, ist nach Feierabend in der Bergwacht als Lebensretter aktiv. Fast die gesamte Königsteiner Jugend lernt bei Uwe Leichsenring das Autofahren, und Klempner Michael Jacobi kommt in fast jedes Haus. Da fällt Ausgrenzung schwer.

Alfred und Doris Zutt sind die alte NPD. Wenn Alfred Zutt im Kreistag einen Redebeitrag zum Schulentwicklungsplan hält, braucht er keine drei Sätze, bis er die „antideutsche Politik“ der Etablierten und „3,2 Milliarden Euro Kindergeld für nichtdeutsche Staatsbürger“ geißelt. In der Sächsischen Schweiz ist der Stil der NPD ein völlig anderer. Die dortige Kreistagsfraktion um Leichsenring und Müller formuliert lieber einen akkuraten Antrag, in dem der Landrat aufgefordert wird, sich für den Erhalt der Schulen einzusetzen. Dafür hätte der sich zwar sowieso eingesetzt, aber beim normalen Bürger dürfte der NPD-Vorstoß besser ankommen als die Ehringshäuser Tiraden.

Um die Ausgrenzung ins Leere laufen zu lassen, versucht die NPD in der Sächsischen Schweiz, selbst Wärme zu vermitteln. Eine AG Brauchtum organisiert Sonnenwendfeiern, ein Singekreis pflegt den deutschen Volksliedschatz. Für kleine Kinder wird eine Weihnachtsfeier oder ein Ostereiersuchen geboten. Auf die Jugend zielt eine NPD-Klettergruppe, im Winter werden Schneewanderungen organisiert, im Sommer Fußballturniere.

Auch in Ehringshausen veranstaltet Alfred Zutt Grillfeste für die Jugend. Aber im ganzen Lahn-Dill-Kreis haben die Jungen Nationaldemokraten nur ein Dutzend Mitglieder. Und wenn dort irgendwo Skinheads offensiv auftreten, wird das noch nicht als normal hingenommen. In einem Ortsteil von Dillenburg etwa, gut 30 Kilometer nördlich von Ehringshausen, fanden sich rasch Bürger zusammen, als sich eine rechte Jugendclique ständig auf dem Dorfplatz traf und es zu Schlägereien kam. Die Bürgerinitiative rief nicht nur nach dem Staat, sondern eröffnete selbst einen Jugendtreff, der bis heute von Mitgliedern des Vereins betreut wird.

Als den Verantwortlichen im Lahn-Dill-Kreis vor ein paar Jahren das Problem mit der rechten Jugend bewusst wurde, ließen sie eine Studie über die Szene erarbeiten. Darin ist erfasst, in welchen Gemeinden solche Cliquen aktiv sind, wie sie zusammengesetzt und wie sie vernetzt sind. In der Sächsischen Schweiz reagiert die Pressesprecherin des Landrates bass erstaunt, wenn man sie nach etwas Ähnlichem fragt. „Nein, eine Übersicht haben wir nicht“, sagt sie. Sie bezweifle auch, dass man so etwas überhaupt anfertigen dürfe. „Wir sind doch kein Überwachungsstaat!“ Man müsse auch aufpassen, „niemanden zu verunglimpfen“.

Im Jugendprojekt in Dillenburg-Oberscheld steht der Bürgerinitiative eine Teilzeitkraft zur Seite, vom Landkreis bezahlt. In der Sächsischen Schweiz sind Anfang 2005 drei weitere Stellen in der Jugendarbeit gestrichen worden. „Der Landkreis ist zur Zeit nicht in der Lage, sich um seine Kinder und Jugendlichen zu kümmern“, räumte auf einer der letzten Kreistagssitzungen ein Mitglied des zuständigen Ausschusses ein. Da stand der NPD-Abgeordnete Uwe Leichsenring auf und sagte im Namen seiner Partei: „Wir reden nicht darüber, wir machen Jugendarbeit!“

Ein bisschen neidisch schaut das Ehepaar Zutt nach Ostdeutschland. „Da seh’ ich keine Türken“, sagt Alfred Zutt. Der Sohn der Zutts hat in Waren an der Müritz ebenfalls einen „Patriotentreff“ eröffnet, die Geschäfte dort laufen besser als einst in Ehringshausen. Doris Zutt sagt, im Westen habe die alliierte Re-education die Leute „eingeschüchtert“, dort herrsche „Pogromstimmung“ gegen die NPD. Alfred Zutt sagt, sie würden gern nach Waren übersiedeln, denn dort könne man als NPD-Politiker „viel leichter Erfolg haben“.

TORALF STAUD, 33, ist Politik-Redakteur der Zeit und lebt in Berlin. Sein Text ist ein gekürztes Kapitel aus seinem in den nächsten Tagen erscheinenden Buch „Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD“, Kiepenheuer & Witsch, Frankfurt/Main, 224 Seiten, 8,90 Euro