die woche in berlin
: die woche in berlin

In Coronazeiten erweist sich trotz aller Bemühungen, wie ungerecht das System Schule ist. Wenn nicht mal Open-Air-Kinos öffnen dürfen, welche Hoffnung gibt es für den Berliner Kulturbetrieb? Und jetzt soll Corona auch noch Tegel schließen … na und?

Ungerecht,
aber
unersetzbar

Sommerschulen für benachteiligte Kinder

Was kann man tun für die Kinder, die es von Haus aus nicht leicht haben, wenn die Schulen schließen? Wenn man ehrlich ist: nicht so viel. Schule, das zeigt die Coronakrise, mag eine Erfindung mit Schwächen sein, und je nach Lehrkraft, die das Kind vor die Nase gesetzt bekommt, fallen die mal mehr, mal weniger ins Gewicht. Aber alles in allem ist Schule nicht ersetzbar. Zumindest nicht für die, die nicht wissen, wie das geht: einen Wochenplan abarbeiten, wenn niemand sagt, was man genau wann und wie machen soll. Jeden Morgen aufstehen, wenn die Klassenlehrerin nicht wartet.

Das Konzept für die Sommerschulen, das Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) diese Woche vorgestellt hat, und auch das zweite Krisenprogramm, die bereits seit April laufenden LernBrücken, wo SozialarbeiterInnen im immer noch weitgehenden Homeschooling Händchen halten und Struktur vermitteln sollen: Das sind Feuerlöschübungen, aber es ist noch kein Konzept fürs nächste Schuljahr.

Zugleich zeigt diese Krise brutal das Versagen des Systems Schule. All die Kinder, die ohnehin gut lernen können, werden vermutlich auch nächstes Jahr gute Abschlüsse machen. Ihnen wird das Coronajahr, vielleicht auch die Coronajahre nicht viel anhaben. Was sie in der Schule nicht lernen, bringen sie sich im Homeschooling selbst bei oder es wird ihnen beigebracht. Und alle anderen brauchen die Sommerschulen und die LernBrücken, weil die Schule, so wie sie in normalen Zeiten mal war, eines nämlich genau nicht geschafft hat: den Kindern beizubringen, wie man lernt – selbstständig, nicht weil man muss, sondern weil man es kann und weil man es will. Man könnte also sagen: Mission verfehlt.

Das mag für Einzelfälle nicht immer stimmen, weil sie tolle LehrerInnen hatten oder anderweitig Glück. Aber insgesamt lässt sich sagen: Schule ist eine zutiefst ungerechte Erfindung. Und das beste, was uns offenbar bisher eingefallen ist. Anna Klöpper

Im ganz falschen Film

Perspektiven für die Kultur fehlen, sogar für Freiluftkinos

Seit einigen Wochen dominiert das Wort Lockerungen die Coronanachrichten. Nach und nach konnten Kosmetikstudios, Restaurants und sogar Shoppingmalls wieder öffnen. Nur für die Kultur sieht es weiterhin trübe aus. Die Spielzeit der Landesbühnen ist gelaufen, Popkonzerte wird es auf absehbare Zeit nicht geben, und selbst den Freiluftkinos, von denen es in Berlin etwa zehn in unterschiedlichsten Größenordnungen gibt, fehlt bisher jede Perspektive, wann sie öffnen könnten. Dabei wäre jetzt ihre Zeit und Kino unter freiem Himmel eigentlich das ­coronaaffine Kulturevent in diesen Tagen.

Denn Veranstaltungen im Freien gelten als relativ feindliche Umgebung für das Virus, und die meisten Gelände können vergleichsweise einfach an die Hygienevorschriften angepasst werden. So haben etwa die Betreiber des Freiluftkinos Friedrichshain einfach viele Bänke abgebaut und damit Raum geschaffen, zudem eine platzgenaue Onlinebuchung eingeführt. Und doch ignoriert der Senat solche Bemühungen offenbar komplett: „Es ist schon sehr unangenehm, dass niemand mit uns direkt gesprochen hat“, sagte Mitbetreiber Arne Höhne diese Woche der taz.

Dabei ist beachtlich, welche Einschränkungen Höhne von sich aus getroffen hat, um das Kino überhaupt wieder zu eröffnen. Nur noch ein Viertel der ursprünglich 1.700 Plätze steht zur Verfügung. Und es brauche damit schon einen Supersommer, so Höhne, um wirtschaftlich arbeiten zu können.

Das lässt Schlimmes ahnen hinsichtlich der Auflagen für Kinos und andere Kulturveranstaltungen in Hallen und Sälen, wo ein umfassender Luftaustausch nicht gegeben ist. Wenn etwa dicht bestuhlte und kompakte Theater wie das Gorki oder das Berliner Ensemble im Verhältnis noch mehr Sitzplätze frei lassen müssten, wäre das ökonomisch sinnlos und von der Atmosphäre her für Zuschauer und Schauspieler ernüchternd.

Kommende Woche will der Senat eine erneute Bestandsaufnahme der coronabedingten Einschränkungen machen. Dabei werde es wohl auch um Freiluftkinos gehen, kündigte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag an. Es ist die letzte Chance, ihnen überhaupt noch eine Saison zu ermöglichen – und vielen BerlinerInnen etwas Kultur zu erlauben.

Bert Schulz

Endlich entsteht Platz für etwas Neues

Der Flughafen Tegel schließt am 15. Juni – vermutlich für immer

Huch, ein Flugzeug! Seit ein paar Tagen machen Anekdoten im Freundes- und Kollegenkreis die Runde, die vor allem davon erzählen, wie schrecklich laut es doch ist, wenn – ja wenn – mal wieder ein Flugzeug über Pankows Dächer gen Tegel hinwegdonnert. Nachdem wochenlang gar nichts flog, düst jetzt gefühlt jeden zweiten Tag eine Maschine über den Stadtteil. Ihre Kinder guckten plötzlich wieder den Flugzeugen nach wie früher, als sie kleiner waren, berichtet eine Kollegin. Und manche Leute erschrecken sogar vor dem Lärm, hat ein Kollege beobachtet. Tja, mensch gewöhnt sich halt schnell daran, dass in Zeiten der Coronakrise so gut wie kein Flugzeug mehr von Tegel abhebt oder den Flughafen anfliegt.

Das bleibt auch so. Und wird noch besser: Weil Berlin derzeit mehr Flughafenkapazitäten hat, als die Stadt gebrauchen kann, weil der Flughafen Tegel sowieso nach Eröffnung des BER in Schönefeld vom Netz soll und in der Coronakrise ohnehin immer mehr einem Geisterflughafen gleicht, werden nun endlich Konsequenzen gezogen. Berlin und Brandenburg und der Bund – also alle drei Anteilseigner – haben sich am Mittwoch darauf geeinigt, dass der Flughafen Tegel schon zum 15. Juni außer Dienst gehen kann.

Beantragt ist bei der Luftfahrtbehörde zunächst eine Schließung für zwei Monate, also eine vorübergehende. Könnte ja sein, dass die Fluggastzahlen auf einmal wieder hochschnellen. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass Tegel noch einmal für zwei oder drei Monate aufmacht – der BER soll, so ist es versprochen (und glaubhaft), am 31. Oktober an den Start gehen. Das endgültige Ende des Flughafens Tegel ist also eingeläutet.

Und nun? Die einen, die lärmgeplagten Tegelhasser, frohlocken. Die anderen, die Tegelliebhaber (von wegen schnell zu erreichen, kurze Wege, bla, bla, bla) sind stinksauer. Und okay, vielen BerlinerInnen ist das alles einfach total egal.

Berlin ohne Flughafen Tegel? Das ist keine Aufregung wert. Was passiert denn? Jetzt geht eben mal ein Stück altes Westberlin verloren. Das kann man schrecklich finden – aber auch als einen Akt der nachholenden Gleichberechtigung sehen. Denn ein Blick in die jüngste Geschichte Berlins zeigt, dass man mit anderen Bauten überhaupt nicht zimperlich umging.

Mit Bauten im Ostteil der Stadt nämlich. Dort war man es jahrelang gewohnt, dass geschliffen wird auf Teufel komm raus: viele schlichte Wohnhäuser, aber auch weltweit bekannte Bauten wie die Gaststätte Ahornblatt oder das potthässliche Palasthotel (Hässlichkeit ist eh keine Kategorie für gute oder schlechte Architektur). Der Palast der Republik war da nur das bekannteste Beispiel, der verbaute Asbest wurde als Grund vorgeschoben. Das ICC zum Beispiel, auch voller Asbest und völlig nutzlos seit Jahren, darf weiter vor sich hin stehen.

Der Flughafen Tegel verschwindet und macht Platz für etwas Neues, nämlich einen neuen Stadtteil. Das ist die eigentliche gute Botschaft. Andreas Hergeth

Jetzt geht eben mal ein Stück altes Westberlin verloren.
Das kann man schrecklich finden – aber auch als Akt der nachholenden Gleichberech-
tigung sehen

Andreas Hergeth über die geplante Schließung des Flughafens Tegel