KOALITIONSVERHANDLUNGEN DER STRASSE
: Alte Geschichten

An der Freien Universität Berlin sollten am Wochenende Rezepte diskutiert werden, die dem Kapitalismus den Garaus machen können. Über 1.000 Teilnehmer folgten dem Aufruf des Studierendenverbands Die Linke.SDS zu dem Kongress „Make Capitalism History“.

Den Zweck des Kongresses hatte die Bundesgeschäftsführerin des Verbandes als „Auftakt für die Koalitionsverhandlungen der Straße“ bezeichnet. Ob es allerdings noch diese Woche zu beinharten Koalitionsverhandlungen aufgrund des Inputs von über 80 Referenten am Wochenende kommen wird, ist fraglich.

Dass der „Green New Deal“ keine Alternative zum Kapitalismus ist, wie Heike Hänsel von der Linkspartei betonte – geschenkt. Doch ihr zweifelsohne unterstützenswerter Aufruf, im Februar den Nazi-Aufmarsch in Dresden zu verhindern, ist es ebenfalls nicht und wird auch keine schwarz-gelbe Koalition ins Wanken bringen. Der Kampf um die Rechte der Angestellten, den die Bamberger Lidl-Betriebsrätin Ulrike Schramm-de-Robertis vorstellte, wurde zu Recht groß gefeiert. Doch Lidl ist dadurch nicht Geschichte geworden. Der venezolanische „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ hat längst seine eigene „bolivarische“ Oberschicht und ist keine „beeindruckende Alternative zum Kapitalismus“. Außerhalb der Linken ist diese Erkenntnis Schnee von gestern.

Es war dem Sozialforscher Karl Heinz Roth überlassen, der Hoffnung auf Sozialstaat, soziale Bewegung und außerparlamentarische Opposition die „Reaktivierung der Subjektivität“ hinzuzufügen. Allerdings sind spontane Rebellionen in Deutschland, die man als emanzipatorisch verbuchen kann – anders als der Kapitalismus – längst alte Geschichte.

Der Kongress hat Studierende, Gewerkschafter und andere sicherlich vernetzt und ermutigt, irgendwas zu tun, doch seinen Aufschneidertitel „Make Capitalism History“ hätte er sich schenken können. DORIS AKRAP