In freier Wirtschaft

Was haben DaimlerChrysler und ein Rudel Wölfe gemeinsam? Beide werden vom jeweils stärksten Männchen geleitet. Doch „der Manager ist des Managers Wolf“, in der Wirtschaft wie in der Natur

VON CLEMENS NIEDENTHAL

„Jede Nacht, jeden Tag auf der Jagd, denn das Rudel tollt, wenn der Rubel rollt“

Absolute Beginner, „Füchse“

Nach den Heuschrecken nun das Alphatier. Und wieder einer dieser Biologismen, die doch auch dafür stehen, dass die Welt der Wirtschaft mitsamt ihren Berggipfeln, ihren Chefetagen nur noch in ihren Metaphern nachvollziehbar erscheint. Oder kann jemand hinreichend erklären, warum ein Jürgen Schrempp so lange und vielerorts immer noch als einer der erfolgreichsten Automobilmanager der Nachkriegsmoderne gehandelt wurde?

Wäre Schrempp das tatsächliche Alphatier, der Rudelführer, den die alten Wunden nun zum Rückzug zwingen würden, vermutlich würde er sich einsam in einem Wald zum Sterben betten. Aber eine solche Authentizität fordert bekanntlich keine Metaphorik ein. Und der gerade eben noch DaimlerChrysler-Chef Schrempp ist vielleicht wirklich jener „happy man“, als der er sich in einer Telefonkonferenz von seinem Amt verabschiedet hat. Er, der gerne an der Seite Reinhold Messners durch die Dolomiten wandert und in lauen Sommernächten die Trompete bläst. Zumindest ist es das, was die Konzernhomepage über ihren ehemaligen Vorstandschef erzählt.

Sie erzählt noch mehr. Erzählt von „einigen Nebenjobs“, mit denen der Mann mit der mittleren Reife „seine Familie durchgebracht hat“. Erzählt von der Ausbildung zum Kfz-Schlosser, mit der Jürgen Schrempp 1960 in den Konzern eintrat. Vom Lehrling zum Chef also, von unten nach oben, vom Tellerwäscher zu einem Jahresgehalt von sechs Millionen Euro.

Auch das ist freilich bei den wirklichen Alphatieren, denen aus der Fauna, zu beobachten. Wölfe oder Füchse werden nicht zum Rudelführer geboren. Sie beißen sich durch; oder eben auch nach oben. Der Managertypus, wie ihn Jürgen Schrempp oder der einstige Telekommunikationsderwisch Ron Sommer so prototypisch verkörperten, hat nur mehr wenig gemein mit der Industriellenaristokratie eines Ferdinand Piëch oder eines Wendelin Wiedeking. Schrempp wie Sommer waren keine Enkel, keine Thronfolger. Und sie haben keine Thronfolger gezeugt.

Wer den ausschweifenden, detailscharfen Lebenserinnerungen des Ron Sommer gerade zur Zeit der großen Telekom-Krise gelauscht hat, bekam Schilderungen zu hören, wie sie auf dieser Etage der Deutschland-AG mindestens ungewöhnlich waren. Sommer erzählte von der kargen Kindheit bei der Großmutter im Wiener Hinterhaus. Von den vielen Ideen, zu denen immer wieder das notwendige Kapital gefehlt habe.

Im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland hätten solche Biografien vermutlich in beständige Produkte gemündet, in den Fischer-Dübel, in den Schraubstollen-Fußballschuh des Adi Dassler aus Herzogenaurach. Unternehmertypen, die sich nicht früh genug um die Aura eines Patriarchen bemühen konnten. Und die, nicht nur ökonomisch betrachtet, genau das waren: Väter einer Region. Heinrich Nordhoff etwa, Volkswagen-Generaldirektor der ersten zwanzig Nachkriegsjahre, bestimmte die Regeln für alle, die ihre Füße unter seinen Wolfsburger Tisch stellen durften. Aber er bewirtete sie gut, fürstlich sozusagen.

Heutige Alphatiere sehen das anders – und sie sehen anders aus. Besser vermutlich, spärliches Haupthaar ist die einzige offensichtliche Schwäche, die sie ihren Körpern zugestehen. Wolfgang Bernhard beispielsweise, noch vor Jahresfrist hoch gehandelter DaimlerChrysler-Kronprinz und inzwischen Volkswagen-Markenvorstand, wurde von den Lesern des Wirtschaftsmagazins Junge Karriere zu Deutschlands erotischstem Manager gewählt. Vermutlich auch, weil er sich gerne mal mit Lederjacke und RayBan-Brille auf eine Chrysler-Motorradstudie gesetzt hat. So geschehen vor zwei Jahren auf der Detroit Motorshow.

Inzwischen, und von Stuttgart nach Wolfsburg übersiedelt, gibt der smarte Bernhard vor allem den harten Sanierer. Einen, der die Kosten drückt und vor dem die Volkswagen-Belegschaft gleichermaßen zittert wie die Geschäftsleitungen der Zulieferbetriebe. Denn auch das sind die Bedingungen eines postheroischen Managements unter den Bedingungen des Shareholder-Values: Seine Lederjacke trägt ein Wolfgang Bernhard genauso grundlos wie ein Tony Blair die Bluejeans und die E-Gitarre. Oder anders gesagt: Es wäre sentimental, sich den guten, gerechten Managertypen herbeizuträumen. Und noch sentimentaler, zu glauben, dass das dann der in der Lederjacke sei.

Denn Rebellen kennt die Weltwirtschaft zunehmend nur mehr in eigener Sache. Womit wir wieder bei den Alphatierchen wären. Beziehungsweise bei den Betatierchen. Denen, die fortwährend nach oben beißen, wohl wissend, dass sie einmal Erfolg haben könnten. Dass die nächste Krise kommt – sei es auch nur die eines Aktienkurses. Und das Bedürfnis nach einem neuen Schuldigen.

Vielleicht, so mutmaßen manche schon heute, war das Ausscheiden des Porsche-Enkels Ferdinand Piëch für lange Zeit der letzte selbstbestimmte Kommandowechsel in den globalisierten Chefetagen deutscher Vorzeigeunternehmen. Und vielleicht ist das viel zitierte Misstrauen gegen die Politiker längst auch ein Misstrauen gegen das von Menschen Machbare an sich. Wird ein permanentes Einwechseln und Auswechseln mithin zum einzigen Kontinuum künftiger Wirtschaftspraxis. Und künftiger Wirtschaftspraktiker. Wenn es die Börsen demnach vor allem honorieren, wenn irgendetwas anders wird, hieße das Erfolgsrezept des neuen DaimlerChrysler-Chefs Dieter Zetsche demnach einfach nur: dieser Andere zu sein.

Wäre, konsequent zu Ende gedacht, der einzelne Manager demnach genauso macht-, ja sogar schuldlos wie der einzelne Politiker. Zumindest werden sich die Biografien der Interimswirtschaftskapitäne des 21. Jahrhunderts anders lesen als die dicken Wälzer über die Nordhoffs, Henkels und Co. Es wären schillernde Kurzgeschichten.