die woche in berlin
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Lässt sich Berlins Regierungschef bei der Durchsetzung der Coronaregeln etwa von Bert Brecht leiten? Scheitert Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz mit seiner Salamitaktik? Und wie kann die Kunst Corona überleben?

Ohne Shui Ta geht’s leider nicht

Nur mit Appellen setzt Müller die Coronaregeln nicht durch

Der Mann müht sich echt. Immer noch ein Versuch, an die Verantwortung jedes Einzelnen zu appellieren. Immer wieder der Appell, nur gemeinsam lasse sich die Coronakrise bewältigen. Sogar bei der Maskenpflicht sollte soziale Kontrolle statt Bußgeld ausreichen.

Bei vielen rennt Regierungschef Michael Müller (SPD) damit offene Türen ein: bei jenen, die sowieso auf Wegen rechts am Rand gehen und so ausreichend Platz lassen. Bei jenen, die am Kühlregal mit Abstand warten, bis der ­andere von der Frischmilch weg ist. Die sich freuen, dass sie nun zumindest ­wieder eine andere Familie zu Besuch haben können, und nicht meckern, dass nicht auch gleich die große Party möglich ist.

Aber da sind eben die anderen: die, die wegen der ersten Lockerungen denken oder schon immer meinten, alles sei wieder möglich – und damit riskieren, dass nicht nur sie, sondern auch alle anderen aller Lockerungen wieder verlustig gehen. Jene, die ignorieren, dass nicht nur sie selbst, sondern auch andere Freiheitsrechte haben – etwa das Recht auch eines Älteren darauf, einigermaßen ansteckungssicher im Park spazieren zu können. Bei denen dringt Müller offenbar nicht durch, weil das Ego-Gen zu groß oder soziales Denken nicht vorhanden ist, was auf dasselbe hinausläuft.

Der Regierungschef erinnert dabei an Shen Te aus Brechts Drama „Der gute Mensch von Sezuan“: jene Frau, die trotz schlechter Erfahrungen mit ihren Mitmenschen lange meint, alles nur mit Güte schaffen zu können. Doch alle nutzen sie aus – und nehmen dabei in Kauf, dass Shen Te drauf und dran ist unterzugehen. Bis die einsieht, dass es nur mit Güte nicht geht, und ein Alter Ego entwickelt, ihren vermeintlichen Vetter Shui Ta, den Mann fürs Grobe und Konsequente.

Dieser Punkt scheint bei Müller erreicht. Nach Wochen im Shen-Te-Modus wirkt er bereit, Shui Ta herbeizurufen, um nicht von einer Minderheit das kaputtmachen zu lassen, was die Corona-Ausbreitung verlangsamt und dabei sehr, sehr viel Geld gekostet hat. „Wir können nicht akzeptieren, dass einige denken, sie können machen, was sie wollen“, hat der Regierungschef gegenüber Journalisten am Dienstag gesagt – die Frage war, ob nicht angesichts von so abstands- wie rücksichtslosen Menschenpulks ein robusteres Vorgehen angesagt sei.

Das müsse „kein martialisches Auftreten sein“, sagte Müller – in Frankreich etwa patrouillieren Polizisten mit umgehängter MP. Und er habe immer noch die Hoffnung, auch mit Mahnen und Ermuntern weiterzukommen. Aber eine klarere Ansprache der Polizei in Richtung Corona-Regelbrecher wie schon im März soll es geben. Shui-Ta muss also richten, was Shen Te allein mit dem Glauben an das Gute im Menschen nicht schaffen kann. Das ist so richtig wie schade und erwartbar – Brecht-Leser und -Gucker kennen das schon seit der Uraufführung des „Guten Menschen“ vor fast 80 Jahren in der Schweiz. Stefan Alberti

Für Andreas Kalbitz geht es um die Wurst

Brandenburgs AfD-Chef scheitert mit Salamitaktik

Billigsalami ist eklig. Das wissen wir nicht nur durch die Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen, sondern auch dank des Verhaltens von Brandenburgs AfD-Chef An­dreas Kalbitz. Denn nichts anderes als eine äußerst billige Salamitaktik ist es, wie der sich aus seiner offenkundigen Mitgliedschaft in extrem rechten Vereinen herauszuwinden versucht – und dennoch keine Macht innerhalb der Partei verloren hat. Bisher.

Denn nun könnte es für Kalbitz um die Wurst gehen. Am Freitag nach Redaktionsschluss wollte der AfD-Parteivorstand über ein mögliches Rechtsgutachten über Kalbitz’ Neonazi-Vergangenheit und vielleicht gar dessen Rausschmiss sprechen. Zudem droht der Verfassungsschutz damit, die gesamte AfD Brandenburg als Verdachtsfall einzustufen.

Eine scheibchenweise Chronologie gefällig? Zunächst belegten laut Kalbitz Beweisfotos keine Mitgliedschaft bei der neonazistischen Organisation Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ): Er sei nur zu Gast bei diesem Zeltlager in der Tradition der Hitlerjugend gewesen. Die Bilder konnten bereits damals kaum über eine Mitgliedschaft hinwegtäuschen: Kalbitz spazierte 2007 in kurzen Lederhosen durch ein Camp, wo nicht nur die Frisuren der Teilnehmer auf Nazi-Ästhetik getrimmt waren. Später kam heraus, dass er bereits 1993 als Zwanzigjähriger bei Treffen des Vereins war. Ein ehemaliger Kamerad berichtete, dass Kalbitz eine Reichskriegsflagge sowie antisemitische und den Holocaust leugnende Bücher dabeigehabt haben soll.

Als dann kürzlich eine Mitgliedsliste der HDJ auftauchte, auf der Kalbitz’ Name aufgeführt war, äußerte er sich erst nicht und diese Woche dann erneut ausweichend: Es könne schon sein, dass sein Name auf einer „Interessenten- oder Kontaktliste“ auftauche. Auch das beweise aber noch keine Mitgliedschaft in der HDJ, versuchte sich der Salamitaktiker weiter durchzuwursteln.

Sein Vorgehen ist dabei ebenso ungenießbar wie durchschaubar: Kalbitz gibt stets nur das zu, was bereits eindeutig belegt ist. Er war mit anderen Neonazis bei rechtsextremen Treffen und Ausschreitungen in Belgien? Nun ja, er war zwar dort, aber an den Ausschreitungen habe er sich nicht beteiligt. Er hat mit anderen Neonazis mit der griechischen Patrio­tischen Allianz in Athen demonstriert, wo nachts eine Hakenkreuzflagge gehisst wurde und es einen Brandanschlag gab? Ja, er sei dort gewesen, aber, ähm … Sie ahnen es. Die Liste ließe sich fortsetzen: Mitgliedschaft in der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen, Kontakte zu Neonazis, Beiträge in einschlägigen Publikationen, Vorsitz im extrem rechten Verein Archiv der Zeit. Welche billigen Ausflüchte Kalbitz jeweils vorbrachte, sparen wir uns an dieser Stelle.

Vermutlich würde er sich auch dann noch rauswursteln, wenn er zur AfD-Vorstandssitzung am Freitag im HJ-Outfit von damals kommen würde, das sicherlich noch irgendwo neben der Reichskriegsflagge in seinem Eichenholzschrank hängt. Gareth Joswig

Zum Mönch
am Meer mit
Mundschutz

Die Lage der Kunst bleibt auch mit offenen Museen prekär

Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ empfängt wieder Besuch. Und nicht nur er. Die Alte Nationalgalerie öffnete gemeinsam mit einer Reihe anderer Museen in der vergangenen Woche wieder ihre Türen. Theoretisch war das schon seit dem 4. Mai erlaubt, doch gerade die großen Institutionen ließen oder lassen sich Zeit. Die Vorbereitung ist nicht einfach, in manchen Häusern ist Social Distancing aus baulichen Gründen schwierig.

Riesigen Andrang vermeldete nach den ersten Tagen keiner. Ginge ja auch gar nicht: Unter anderem mit Zeitfensterkarten soll genau das vermieden werden.

Als Besucher*in ist das natürlich toll: kein Anstehen, kein Gedränge, dafür ganz viel Ruhe, um Sammlungsstücke und Sonderausstellungen zu betrachten. Denn wenn es etwas gibt, was die vergangenen Wochen gezeigt haben, dann, dass kein Bildschirm Kunsterlebnisse wirklich übertragen kann. Und auch, dass uns noch die geeigneten Konzepte fehlen, digitale Angebote angemessen zu monetarisieren.

Finanziell bleibt es auch bei offenen Museen problematisch: Durch Zugangsbeschränkungen und Hygieneregeln bleiben Eintrittsgelder aus. Ohne zusätzliche Fördermittel wird das Geld in Zukunft fehlen. Wie sich Corona auf die Kulturförderung auswirken wird, möchte man sich gar nicht ausmalen.

Für private Museen sind Einnahmen durch Tickets noch elementarer. Ob sich für diese der Schmalspurbetrieb lohnt, ist eine schwierige Rechnung. Was, wenn nicht?

Die neu aufgelegten Soforthilfen könnten im Kunstbereich greifen. Ob die Unterstützung reichen wird, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab, davon, wie lange die Einschränkungen bestehen bleiben müssen. Absehen kann das freilich momentan niemand.

Die Galerien haben indes bereits seit der letzten Aprilwoche wieder geöffnet. Sie halten sich wacker, manche gar vorsichtig optimistisch, doch die Aussichten scheinen düster. Eine Studie von The Art Newspaper spricht von mehr als 70 Prozent finanziellen Einbußen, die Galerien weltweit 2020 zu erwarten hätten. Vorhersagen bewegen sich freilich auf dünnem Eis. Die kommenden Monate werden erst zeigen, wie sich der jenseits der Großgalerien ohnehin oft prekäre Kunstmarkt entwickeln wird. Dass nicht alle die Krise überstehen werden, ist gewiss.

Vielleicht aber könnte all das auch Chancen mit sich bringen – Chancen, die Dinge anzugehen, die in der Kunstwelt schon zuvor schief hingen. Diese Entschleunigung, von der jetzt alle sprechen – in der Kunst könnte sie tatsächlich etwas bewirken: eine Rückbesinnung auf Inhalte statt auf immer mehr Events, ein Zurückfahren internationaler Stelldicheins, Messen, Biennalen etc., für die Teile der Szene um die Welt jetten, als hätten sie vom Klimawandel nie gehört.

Profitieren würde davon auch die Kunst selbst. Und die brauchen wir in der derzeitigen Ausnahmesituation ja umso mehr: Gerade jetzt können Kunst und Kultur dazu beitragen, Veränderung zu verstehen und einzuordnen, neue Perspektiven zu gewinnen – oder uns schlicht klug auf andere Gedanken zu bringen.

Beate Scheder

Interview

Gerade jetzt können Kunst und Kultur dazu beitragen, Veränderung zu verstehen und einzuordnen, neue Perspektiven zu gewinnen – oder uns schlicht klug auf andere Gedanken bringen

Beate Scheder über die Öffnung von Museen und Galerien