Schnäppchenpreis

In der Pension Haus Christina müssen Gäste selbst die Betten machen und Staub saugen. Das Essen wird im Drahtkorb aufs Zimmer gebracht

VON GÜNTER ERMLICH

Punkt 18 Uhr klopft es an der Tür. Eine junge Frau mit Karottenkopf stellt einen ausladenden Drahtkorb, an dem die rote Erkennungsmarke für Zimmer Nummer 4 baumelt, auf den Tisch und wünscht knapp, aber freundlich: „Guten Appetit!“ Und weg ist sie, zum nächsten Korb, zur Essensausgabe bei den Zimmernachbarn in Nummer 5. Ihre Hinterlassenschaft sind Geschirr, 4 Scheiben Graubrot, 2 Eckchen Butter, 20 g Buko Frischkäse, 2 Scheiben Holländer, 1 Scheibe Cervelatwurst, 2 Scheiben Geflügelwurst, 1 Radieschen, 1 Gewürzgürkchen und eine XL-Thermoskanne mit Früchtetee.

Auf der Fensterbank steht das Bordwerkzeug zum Essenfassen bereit: abwaschbare Untersetzer, Servietten, Pfeffer, Salz und Zucker, Bierdeckel und Flaschenöffner. Die Stammgäste der Pension Haus Christina – das sind rund 80 Prozent – kennen das Reglement: Dreimal täglich, 8 Uhr morgens, 12.30 Uhr mittags, 18 Uhr abends, wird die Mahlzeit aufs Zimmer gebracht. Das ist Spezialität des Hauses. Den Drahtkorb tragen die Urlauber nach dem Essen zum Lastenaufzug zurück, der zwischen der Küche im Keller und den drei Etagen pendelt.

Die schnörkellose Pension passt perfekt in die heutige Zeit von Deutschlandurlaub, Naherholung und Geizmentalität. Das Haus Christina liegt in Desserath in der Vulkaneifel, wo sich Kuh und Schaf gute Nacht sagen. Prima Landluft, leichte Wanderwege, viel Ruhe, das suchen und finden die Gäste hier. Und kommen vor allem wegen des Schnäppchenpreises. Denn Christina ist ein Billigheimer, unter 20 Euro pro Nase kostet die Vollpension, und das Essen auf Zimmern ist ihr unique selling point.

Die Idee stamme von einem Ferienhaus auf der holländischen Insel Texel, erklärt der Hausherr Erich Berg, seine Schwiegermutter habe das seinerzeit in einem Reiseprospekt entdeckt. Sein Gastronomiekonzept hat in Deutschland bisher noch keiner abgekupfert, „die schütteln höchstens alle die Köpp“. Doch seine Gäste, überwiegend Rentner, also die Generation 60 plus, schätzen die Bequemlichkeit der ungestörten Nahrungsaufnahme. „Du kannst dich nackig hinsetzen, du kannst das Gebiss neben den Teller legen“, sagt Herr Berg. „Für viele ältere Leute ist das von Vorteil.“ Und denen schmeckt die bodenständig-bürgerliche Küche von Frau Berg.

Alles wird frisch und eigenhändig zubereitet. Die Pension, im Aufbruchsjahr 1968 eröffnet, verströmt die Behaglichkeit der Fünfzigerjahre. Hier weiß der Gast, was ihn erwartet: Bis auf einige Verschönerungen, Teppiche und Tapeten, ist alles original geblieben. Die zentral beheizten Wohnschlafzimmer, die meisten mit Balkon, sind schlicht, das furnierte Kiefernmobiliar ist betagt, aber funktional: einklappbare Betten, Tisch und Stühle, Schrank, kleines TV-Gerät (für 2 Euro Tagesgebühr), gehäkelte Gardinen, fließend warmes und kaltes Wasser im Waschbecken. Nasszellen gibt’s draußen auf dem Flur, 8 Zimmer teilen sich 3 Toiletten, ein Bad und eine Dusche. Schlangen bilden sich dennoch nicht, Eintrittskarten sind überflüssig. „Duschen und Baden vor 7.30 und nach 21.00 Uhr sowie während der Mittagsruhe nicht gestattet“, steht auf dem Schild an der Wand.

Süßlicher Parfümgeruch dringt durch die Belüftungsanlage und wabert durch den Sanitärtrakt. Konsequent verzichtet die Pension auf Schnickschnack und Personal. Herr Berg, Frau Berg und vier „Mädchen“ schmeißen den Laden. „Ich rotiere den ganzen Tag auf offener Flamme“, sagt der 64-jährige gelernte Industriekaufmann, „wir können uns keinen Hoteldirektor und keine Buffetkraft leisten.“ Die Preise sind scharf kalkuliert. Also ist Herr Berg Mädchen für vieles: Rezeptionist, Marketingleiter, Bademeister im hauseigenen Schwimmbad, Buchhalter, Getränkeverkäufer. Sechzehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Nur zwischen Ende Oktober und Ende Januar bleibt die Pension geschlossen.

„Selbst ist der Gast“, lautet die Hausbotschaft. Jeder muss in seinem Zimmer selbst Hand anlegen: Staub saugen, Waschbecken säubern, Aschenbecher leeren, Betten machen. In der Flurecke wartet ein altgedienter Vorwerk-Kobold zum Saugen, drinnen im Kleiderschrank findet man ein Geschirrhandtuch und „Ja!“-Pulver zum Scheuern. Die individuelle Zimmerpflege klappt mehr oder weniger. „Manche Gäste halten ihr Zimmer tipptopp in Ordnung“, sagt Herr Berg, „andere machen gar nichts, fühlen sich aber saumäßig wohl dabei.“ Weil auch das Haus Christina nicht gänzlich auf Luxus verzichten kann und „keine Kontaktschwierigkeiten aufkommen“ sollen (Hausprospekt), verfügt die Pension über kommunikationsfördernde Komfortmerkmale wie ein Hallenbad (6x14 Meter, 30 Grad Wassertemperatur), Sauna und Sonnenbänke, einen Minigolfplatz (12 Löcher), zwei Tischtennisräume im Keller und zwei Fernsehräume mit Holzbänken im Dachgeschoss (rechts 1. Programm, links 2. Programm).

Im Aufenthaltsraum parterre trifft man sich zum Frühschoppen oder auch mal zwischendurch und trinkt den Eifelgeist. Der reine Kräuterschnaps mit „47 Volt“ ist der Renner der Pension, sagt Herr Berg. Weiter im Spritangebot: der Eifelvulkan, „die Krönung mit 50 Umdrehungen“, und die Eifelhexe, ein Waldbeer-Edellikör mit 30 Prozent.

Man mag darüber streiten, ob die Pension eher eine Jugendherberge für ältere Leute oder ein Seniorenheim mit Jugendherbergsmethoden ist. Beim ersten Besuch amüsierte sich Gisa Sandlöbes aus Aachen noch über das „betreute Wohnen“, mittlerweile ist sie mit ihrem Mann Heiner das dritte Mal hier und hat sich mit dem „Nostalgiehotel“ angefreundet. „Wir müssen uns so verkaufen, wie wir sind“, sagt Herr Berg mit Trotz in der Stimme. „Nicht jeder kann ein 5-Sterne-Hotel oder ein Gourmetrestaurant haben. Es muss auch Imbissbuden geben, und wir sind eine Imbissbude, die gut läuft.“ Bisher geht die Rechnung noch auf.

Vollpension im Einzelzimmer 19,50 €, im Doppelzimmer pro Person von 16 bis 19,50 €. Haus Christina, 54570 Desserath, Ahornweg 5, Tel. (0 65 99) 8 17. Der Betrieb ist vom 24. 10. 2005 bis zum 10. 2. 2006 geschlossen. www.pension-christina.de