Sehnsucht vom Arsch der Welt

KONZERT Die Indie-Band Fat Freddy’s Drop feierte im vollen Astra Kulturhaus einen Rave aus Balkanbeats und Dub-Reggae

Fat Freddy’s Drop ist eine dieser Bands, die, ohne groß Furore zu machen, einfach mit verdammt gutem Geschmack still und heimlich eine riesige Fanbase aufbaut. Im Astra haben sich am Samstagabend eineinhalb Säle voll mit Menschen in Cocktailkleidchen oder mit Dreadlocks versammelt – ein Drittel lauschte im Zwischenraum an der Bar –, um die erfolgreichste Indie-Band Neuseelands zu sehen, die man entweder nicht kennt oder schon ins Herz geschlossen hat.

Nicht nur die zwei Live-Alben, sondern auch ihre Studioalben „Based on a True Story“ und „Dr. Boondigga & The Big BWs“ waren von betörendem Jam-Charakter. Die Band setzt auf unkonventionelle Arrangements und Entfaltung, die von der Virtuosität jedes Einzelnen der sieben Künstler leben. An Wellingtons angesehener School of Jazz, die für die musikalische Innovation des Landes steht, lernten sich die Musiker schon zu Jugendzeiten kennen. Die Bandmitglieder sind alle jeweils auch in andere Gruppen und Projekte aus verschiedenen Genres wie Dub-Reggae, Funk, Rock oder Electronica eingebunden, was den Stil von Fat Freddy’s Drop im Grunde ausmacht.

An einem Samstagabend Punkt 20.30 Uhr schon die Bühne zu betreten, während die Fans noch gemütlich am Eintrudeln sind, zeugt auf jeden Fall von Professionalität. Die Show wird gut zwei Stunden oder länger gehen, da darf man keine Zeit verschwenden. Drei Bläser, ein Keyboarder, ein Gitarrist sowie ein Sänger und der Produzent, der die Drums vom Loopkasten einspielt, machen sich warm. Beliebte Hits wie das elektronische Roots-Reggae-Gedicht „Flashback“ werden nicht ausgelassen, das Publikum im überfüllten Saal schwitzt und singt glücklich mit. Astrein wie von Platte klingt der butterweiche R&B-Gesang von Vokalist Joe Dukie, nicht ein Moment der Schwäche ist zu vernehmen. Als Background Vocals sozusagen begleiten ihn Trompete und Saxofon. Ansonsten stehen die Instrumente viel stärker im Fokus als der Gesang. Wie auch immer man den Sound von Fat Freddy’s Drop bezeichnen mag, im Herzen sind sie alle Jazzmusiker, das ist schnell klar.

Wirklich interessant wird es nämlich erst bei den Improvisationen. Eine Mundharmonika kommt zum Einsatz. Das verwundert: Im Ernst jetzt, Folk? Nacheinander werden ein paar Takte Melodica, Trompete und Posaune aufgenommen und als Loops wiedergegeben und zerhackt. Das Gehirn von Fat Freddy’s Drop ist der Produzent DJ Fitchie, der knöpfedrückend die Songs durch Metamorphosen jagt. Aus dem Folksong wird ein Balkan-Brecher, der wiederum verwandelt sich in einen euphorischen Housebeat. Auch die Beleuchtung der Show ist so ausgeklügelt, dass sich ein verträumtes Reggae-Konzert im nächsten Moment als Rave entpuppt. Die Überraschungen kommen an, und man sieht kaum mehr die Bühne, sondern nur über tausend in die Luft gestreckte Arme.

Fat Freddy’s Drop setzen ganz klar auf Party und Gruppendynamik. Einzig könnte man bemängeln, dass wertvolle Momente der beruhigenden Lethargie fehlen, die man von den Alben kennt und schätzt. Diese werden live nämlich nur angedeutet, um noch mehr Kraft für die nächste Beatklatsche zu sammeln. Zu konstruiert und durchdrungen wirkt der Sound aber dann doch nicht. Meditativ wiederholt Sänger Dukie immer wieder dieselbe Textzeile. Selbst im Soundgewirr setzt man auf Genügsamkeit. Der Hall der Dub-Wellen spült die Bläser in die Ferne, einem Fluchtpunkt entgegen, der weitab vom Schuss, vielleicht in Neuseeland liegt. Es ist kein Wunder, dass die Lieder alle ein bisschen nach Sehnsucht und Fernweh klingen, sie stammen ja vom Arsch der Welt. Doch bei dem unermüdlichen Jubel, den die neuseeländische Band über zwei Stunden hinweg zu Recht erntet, wird klar, dass Fat Freddy’s Drop schon sehr bald zurückkommen werden.

FATMA AYDEMIR