Träume von einer neuen Zeit

AUS BUJUMBURA ILONA EVELEENS

Im Fußballstadion haut eine Gruppe Trommler rhythmisch drauflos. Sie spielen populäre burundische Volksmusik, die den Musikern physisch viel abverlangt. Es sind junge Hutu und Tutsi gemeinsam, und Burundis größte Partei CNDD-FDD nutzt die musikalische Zusammenarbeit der beiden Bevölkerungsgruppen als Symbol. „Unsere Anhänger sind Menschen, die enttäuscht sind von den alten politischen Parteien, die den ethnischen Konflikt anheizten. Wir wollen ein neues Burundi“, erklärt Parteisprecher Kerenga Kamadhani.

Die CNDD (Nationalkomitee zur Verteidigung der Demokratie) mit ihrem einstigen bewaffneten Arm FDD (Front zur Verteidigung der Demokratie) ist die größte ehemalige Hutu-Rebellenbewegung Burundis. Nach zehn Jahren Krieg kam sie 2003 aus dem Busch, und nach den Wahlen, deren entscheidende Runde gestern stattfand, wird sie höchstwahrscheinlich die neue Regierung dominieren und auch den neuen Präsidenten stellen, den das Parlament am 19. August bestimmt. Und jetzt tritt sie nicht mehr als reine Hutu-Vertretung an, sondern als Versöhnungskraft.

„Wir wollen das ethnische Problem lösen“, sagt CNDD-Sprecher Kerenga Kamadhani, ehemals Rundfunkjournalist bei der Deutschen Welle. „Und zwar auf eine bessere und demokratischere Art als in Ruanda. In Ruanda sind die Bezeichnungen Hutu und Tutsi verboten. Das ist unnatürlich, weil jeder genau weiß, zu welcher Gruppe ein anderer gehört. Wir akzeptieren die Verschiedenheit und versuchen, auf natürliche Art miteinander zusammenzuleben.“

Marschieren statt schießen

Ein Beispiel dafür ist die Armee. Auf der breiten Straße vor dem Präsidentenpalast üben Soldaten den Paradeschritt. Die Militärmusik spielt unbeirrt weiter, auch wenn Arme aus dem Takt schwingen oder Füße aus dem Tritt geraten. Tutsi-Soldaten und Hutu-Rebellen, die noch vor kurzem aufeinander schossen, üben gemeinsam.

„Paradox, nicht wahr“, grinst Armeesprecher Leutnant Adolph Manirakiza. „Wir teilen Schlafplätze und Büros, wir essen und trinken zusammen. Die unerwartete Harmonie in der Armee zeigt, dass der Konflikt in Burundi nicht an erster Stelle ein ethnisches Problem war, sondern dass Politiker die ethnischen Differenzen ausnutzten.“ Vor zwei Jahren, als die CNDD den Kampf aufgab, wurde festgelegt, dass ein Teil der Rebellen in die Armee aufgenommen wird, so dass die Streitkräfte je zur Hälfte aus Hutu und Tutsi bestehen. Ähnliche Quotierungen werden in Regierung und Parlament gelten und sogar innerhalb der Parlamentsfraktionen der Parteien. Keine politische Gruppe kann sich mehr allein auf Hutu oder auf Tutsi stützen.

Dass die Integration der einstigen Bürgerkriegsgegner in der Armee ohne Zwischenfall klappt, wundert sogar die Soldaten selbst. Der 41 Jahre alte Oberst Dieudonne Simbatinya, ein Führer der kleinen einstigen Hutu-Rebellenbewegung Frolina, nennt als einen Grund die militärische Disziplin. „Außerdem waren wir psychologisch fertig und bereit für den Frieden.“ Der Hutu-Oberst Simbatinya und der Tutsi-Leutnant Manirakiza sind gut miteinander befreundet. „Der einzige Unterschied ist, dass ich einen Stern mehr habe und Adolph mich grüßen muss“, sagt Simbatinya und grinst. Dabei hatte der ehemalige Rechtsanwalt nie an eine militärische Karriere gedacht. „Im Jahr 1993 schloss ich mich den Rebellen an, weil die alte Armee mit dem Mord an Präsident Melchior Ndadaye in 1993 das ganze Land in den Krieg stürzte. Jetzt hoffe ich, mich in den Streitkräften als Jurist nützlich machen zu können.“

Manirakiza trägt seit 1993 die Armeeuniform. So konnte er Kommunikationswissenschaft in Belgien studieren. Er legt seinen Arm um den Hutu-Oberst und sagt stolz: „Wir Militärs schreiben endlich mal positive Geschichte“.

Armut statt Krieg

Aber nicht alle sehen das so. In Burundi lebt die Mehrheit der Bevölkerung in absoluter Armut. Nur 38 Prozent der Kinder gehen in die Schule. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind Bauern oder Viehzüchter, aber das Land ist so dicht besiedelt, dass die meisten Äcker kaum zum Überleben reichen. Hunderttausende Menschen sind geflohen oder wurden vertrieben. Ohne großzügige internationale Unterstützung wird keine Regierung das Land wieder auf die Beine kriegen.

„Burundi braucht Hilfe – unbedingt und schnell“, sagt der niederländische Geschäftsmann Clemens Aartman, der schon lange in Burundi lebt. „Sehr wichtig ist die Energieversorgung.“ Der burundische Wirtschaftswissenschaftler Prudence Ndayishidiye findet, der Schwerpunkt solle auf der Landwirtschaft liegen: „Kleine Bauern könnten Kooperativen bilden, um nicht nur Nahrungsmittel anzubauen, sondern auch Exportprodukte“.

Arbeitsplätze gibt es heute kaum in Burundi, aber mit den hunderttausenden rückkehrenden Flüchtlingen und zehntausenden demobilisierten Rebellen wächst das Heer der Arbeitslosen. Denn Burundis neue Armee ist kleiner als die Summe der alten Armee und der alten Rebellengruppen; viele Kämpfer müssen ganz von vorn anfangen.

„Ich überlege, ob ich wieder in den Busch ziehen soll“, sagt der 25-jährige Twaivu. „Als Kämpfer hatte ich jedenfalls immer zu essen. Jetzt gibt es manchmal tagelang nichts. Uns wurden so viele Versprechen gemacht, aber davon habe ich noch nichts gesehen.“

Twaivu kämpfte früher bei den Hutu-Rebellen und wurde vor zwei Jahren demobilisiert. Er fand eine Bruchbude in Kamenge, einem fast ausschließlich von Hutu bewohnten Armenviertel am Rande der Hauptstadt Bujumbura. Die burundische Demobilisierungskommission CNDRR gab ihm 168 Euro Startgeld, so viel wie sechs Monate Sold in der Armee.

„Mein Geld war sofort weg – Miete, Kleidung und Essen“, sagt Twaivu heute. Sein Kumpel Moise, auch 25, hat eine andere Geschichte: „Ich wurde von meiner Familie herzlich begrüßt, als ich zurückkam. Schließlich war ich als Kind weggegangen und kam als junger Mann zurück“, erzählt er. „Aber die Freude verschwand bald. Ich bin ein extra Mund, der gefüttert werden muss.“ Er würde gerne ein Schuhgeschäft eröffnen – als Bauchladen, mit dem er von Tür zu Tür zieht. Dafür bräuchte er jedoch ein Anfangskapital.

Moise und Twaivu überlegen nun, ob sie wieder in den Krieg ziehen sollen – mit der FNL (Nationale Befreiungsfront), der noch einzigen aktiven Hutu-Rebellengruppe.

Bei den demobilisierten Kämpfern von Kamenge sind die Gemüter erhitzt. Wenn die Beamten der Demobilisierungskommission CNDRR vorbeikommen und erklären, warum das Geld sechs Monate reichen soll, werden sie offen angefeindet. „Es ist nicht viel Geld, aber in Kamenge können ganze Familien von so einer Summe leben“, verteidigt sich Libere Hicuburundi von der CNDRR. „Die ehemaligen Kämpfer haben nie gelernt, mit Geld umzugehen.“

Früher, sagt Hicuburundi, waren die Rebellen daran gewöhnt, Nahrung von den Bauern mit vorgehaltener Waffe zu erpressen. Viele waren noch Kinder, als sie in den Krieg zogen, und kennen nichts anderes. Trotzdem hat Libere Hicuburundi Verständnis für sie. „Diese jungen Kerle haben so viel Scheußliches gesehen. Sie träumten von einem schönen Leben als Zivilist, aber die Realität ist für sie eine herbe Enttäuschung.“

Zukunft statt Waffen

Nicht weit entfernt liegt das Jungendzentrum von Kamenge. Knapp 25.000 Jugendliche sind hier Mitglied und können an Freizeitaktivitäten teilnehmen. Junge Menschen in Kamenge haben reichlich Freizeit. Die katholische Kirche öffnete das Zentrum 1993, einen Monat bevor der Bürgerkrieg ausbrach.

Am Eingang des Jugendzentrums wird unter viel Jubel Fußball gespielt. Eine Mannschaft trägt Trikots, die andere nicht. In einem Saal wird eine Nähmaschine, sicher 50 Jahre alt, aus einer Kiste geholt. Die Bibliothek ist voll von mäuschenstill lesenden jungen Leuten. Leise ertönt aus einem anderen Raum kongolesische Musik.

Der 28-jährige Jerome spielt Gitarre und ist für die Musikprogramme des Zentrums verantwortlich. „Wir haben zwei Bands“, erklärt er. „Die eine macht traditionelle Musik, die andere moderne Musik wie Reggae. In den Ferien gehen wir auf Tournee.“ Seine rechte Hand bei der Bedienung der Stereoanlage ist der 20-jährige Alphons. „Nach meinem Abitur will ich ein Geschäft für Stereoanlagen und Musik aufmachen“, verkündet er. „In der Zukunft werden die Menschen mehr Geld haben und dann können sie sich Musik leisten. Davon werde ich dann reich und baue ein Haus für meine Familie, weit weg von Kamenge.“ Jerome und Alphons haben nie überlegt, sich der Armee oder den Rebellen anzuschließen. „Mit Waffen wird nichts gelöst“, sagt Jerome. „Der Krieg brachte bloß Schmerzen, Kummer und größere Armut. Es ist höchste Zeit, dass Dialog eine Chance bekommt.“