„Die Schuldenbremse setzt die Länder unter Druck“

SCHULE Forscher: Bei der Bildung kann aber trotz sinkender Schülerzahlen kaum gespart werden

■ Jahrgang 1942, emeritierter Professor für empirische Bildungsforschung und Bildungsplanung an der Uni Duisburg-Essen.

taz: Herr Klemm, in Bayern hat kürzlich eine Grundschulrektorin frustriert gekündigt, weil das Land ihr zu wenige Lehrer zugewiesen hat. Baden-Württemberg will sogar 11.600 Pädagogenstellen streichen. Werfen jetzt alle Länder reihenweise Lehrer raus?

Klaus Klemm: Die Länder nutzen die rückläufigen Schülerzahlen, um einen Teil der Lehrerstellen abzubauen. Das ist unstrittig. Natürlich werden keine Lehrer entlassen, aber frei werdende Stellen werden wohl nicht mehr im vollen Umfang wiederbesetzt. Das zeigt auch die Lehrerbedarfsprognose, die die Kultusministerkonferenz im vergangenen Jahr vorlegte. Die Kultusminister wollen jährlich 28.000 neue Lehrer einstellen. Es müssten meiner Berechnung nach aber 36.000 sein, wenn man das Stellenvolumen halten wollte.

Auf dem Dresdener Bildungsgipfel haben die Ministerpräsidenten vor vier Jahren angekündigt: Das, was sich durch den Schülerrückgang sparen lässt, soll in die Bildung fließen. Versprochen, gebrochen?

Dass das Geld im Bildungssystem bleibt, dieses Versprechen wird wohl nicht mehr gehalten. Die Länder stehen mächtig unter Druck zu sparen, auch wegen der Schuldenbremse. Aber all das, was im Schulsystem ansteht, ist eigentlich kaum zu schaffen, wenn man das frei werdende Geld nicht nutzt. Und selbst dann wird es eng.

Aber wird es nicht durch manche Reformen auch billiger? In vielen Ländern werden Haupt- und Realschulen zu Gemeinschaftsschulen zusammengelegt. Wenn aus zwei Schulen eine wird, braucht man weniger Lehrer.

Das ist Quatsch. Gemeinschaftsschulen sind eher teurer als billiger.

Seltsam. Sie schreiben, dass die Länder für einen Hauptschüler im Schnitt 6.700 Euro ausgeben, für einen Realschüler 5.100. Da muss es doch billiger sein, Haupt- und Realschüler in eine Klasse zu stecken.

Die Hauptschüler sind teuer, weil die Klassen klein geworden sind und viele Lehrer auf wenige Schüler kommen. Man könnte sagen: Die Schüler sind einfach schneller weggeblieben, als man ihre Lehrer entlassen konnte. Diese Schüler werden für die Kultusministerien billiger, wenn sie in eine Gemeinschaftsschule gehen, das ist richtig.

Aber?

Der Großteil der neuen Gemeinschaftsschüler kommt eben nicht von den Haupt-, sondern von den Realschulen. Aber alle Länder kalkulieren für die Gemeinschaftsschulen mit kleineren Klassen als an den Realschulen. Einen Realschüler an einer Gemeinschaftsschule zu unterrichten ist also teurer. Unterm Strich lässt sich mit Zusammenlegung in der Regel nicht sparen. Dazu kommt, dass viele Gemeinschaftsschulen von vornherein als Ganztagsschulen konzipiert sind. Auch das steigert die Kosten.

Was wird aus den Ganztagsschulen, wenn das durch den Schülerrückgang frei werdende Geld genommen wird, um Haushaltslöcher zu stopfen?

„Dass das Geld im Bildungssystem bleibt, dieses Versprechen wird wohl nicht mehr gehalten“

Gute Frage. Nach meiner Berechnung würde es 8 Milliarden jedes Jahr kosten, wenn man flächendeckend Ganztagsschulen einführen würde. Und es kommen andere große Themen hinzu: Inklusion etwa, also der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung.

Für jeden Förderschüler geben die Länder nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Schnitt 12.300 Euro aus. Und das wird nicht billiger, wenn man die Sonderschüler in ganz normalen Schulen unterrichtet?

Beim Thema Inklusion spart keines der Länder, zum Teil legen sie drauf. Man kann ja nicht einfach zwei oder drei Kinder mit einer Behinderung in eine Regelklasse geben und den Grundschullehrern sagen: Nun macht mal. Dazu kommt, dass die meisten Länder eine teure Doppelstruktur unterhalten, um den Eltern ein Wahlrecht zwischen Sonderschule und inklusivem Unterricht zu verschaffen.

INTERVIEW: BERND KRAMER