Totenmaske für einen faulen Apfel

Eigentlich präsentiert das Museum in Goch niederrheinische Schnitz-Altäre und Stadtgeschichte. Zurzeit zeigt man eine Werkschau des israelischen Bildhauers Gil Shachar

AUS GOCHKÄTHE BRANDT

Das Museum der Stadt Goch war früher ein Amtsgericht. In der Vitrine im Foyer neben Postkarten und Ausstellungskatalogen sind einige faulende Äpfel eingeschlossen. Sie sind bereits alle verkauft und dürfen nun als Leihgaben für kurze Zeit noch liegen bleiben. Dass die Äpfel nicht echt sind, ist allerdings erst bei näherem Hinsehen erkennbar. Sie gehören zur Künstleredition der laufenden Übersichts-Ausstellung „Truglose Bilder“ von Gil Shachar. Der Bildhauer wurde 1965 in Tel Aviv geboren. Er formt das Obst in seinen unterschiedlichen Verfallsstadien mit einer Mischung aus pigmentiertem Wachs und Epoxidharz. Dann bemalt er die Objekte akribisch und verschafft ihnen so scheinbare Authentizität. In der frappierenden Realistik behaupten die Plastiken nämlich ihre Wahrheit, bannen nur einen einzigen Augenblick im Leben und anschließendem, langsamen Verderben einer Frucht. Auch Shachars Arbeitsweise ist ausgesprochen langsam, zögerlich im positiven Sinne. Er widmet jedem seiner Objekte viel Zeit.

Eigentlich präsentiert das Museum in Goch niederrheinische Schnitz-Altäre und gotische Holzplastiken neben einer einzigen Videoinstallation und Bildern des 19. und 20. Jahrhunderts. Dazu eine Sammlung alter Grammophone sowie Zeugnisse zur Stadtgeschichte in bunter Eintracht in dem 1950 als Neubau rekonstruierten historistischen Gerichtsgebäude. Die Umwidmung zum Museum fand 1991 statt. Schon damals war klar, dass das Haus in der Nachbarschaft der rheinischen Kunstmetropolen niemals ausschließlich Kunstmuseum würde sein können. Dennoch engagiert sich Museumsleiter Stephan Mann dafür, auch zeitgenössische, junge künstlerische Positionen in die niederrheinische Provinz zu bringen.

Noch bis September sind hier die neuesten Skulpturen und Wandobjekte des israelischen Bildhauers Gil Shachar zu sehen, dessen Werke momentan in zwei weiteren Gruppenausstellungen in Deutschland gezeigt werden und der seit einigen Jahren in Duisburg lebt. Dass der Künstler gerade das Konzept des Realismus für sein Arbeiten ablehnt, mag verwundern angesichts all der lebensechten Büsten, die in Bauchhöhe auf Sockeln in den beiden Ausstellungsräumen stehen. Doch schnell sieht man, dass es ihm um etwas anderes geht. Sowohl die plastischen Abformungen der Modelle als auch die an den Wänden hängenden, geometrisch gemusterten Tücher sind aus Wachs. Die Abbilder der lebendigen Menschen, kahl geschoren und mit geschlossenen Augen für die Prozedur der Gipsabformung vorbereitet, wie auch die flachen Tuch-Bilder sind aus dem identischen Material geformt und so, mit quasi-demokratischem Gestus, als gleich gültige Kunstobjekte ausgewiesen.

Das ambivalente Changieren zwischen Bild und Objekt, wie es der US-Amerikaner Jasper Johns mit seinem Bild „Flag“ (Enkaustik, Öl auf industriell hergestellten Flaggen, 1954/55) auf unnachahmliche Weise vorgeführt hat, wird vor allem von den flachen Wandstücken Gil Shachars nachgezeichnet. Johns hatte, indem er den Sternenbanner als flaches, starres Bildobjekt präsentiert, das amerikanische National-Label einer medialen Unsicherheit preisgegeben: „Ist es eine Flagge oder ist es ein Bild?“ Damit wurde ein universelles politisches Symbol transformiert. 50 Jahre später greift Gil Shachar dieses Konzept formal wieder auf. Seine steifen Lappen sind aber in ihrer unpolitischen Beliebigkeit und redundanten Wiederholung allenfalls Light-Versionen des genialen künstlerischen Gedanken-Modells von Johns. Denn was unterscheidet das Bildobjekt mit dem schwarz-weißen op-art-Muster von dem mit Küchenhandtuchdesign? Und was ist der zusätzliche ästhetische oder theoretische Erkenntnisgewinn, trotz der handwerklichen Qualität?

Die Verschränkungen der medialen Ebenen und der formalen wie konzeptuellen Bezüge, Anleihen und Verweise im Werk Gil Shachars beginnen sich sehr bald aufzulösen. Dass die Objekte zweifellos eine gewisse Suggestionskraft und Verführungsmacht besitzen, schützt sie freilich nicht vor einer kritischen Einbettung in den entliehenen Kontext, aus dem sie offensichtlich stammen.

Bis 04. September 2005Museum GochInfos: 02823-970811