Keine ganz friedfertige Geschichte

SOMMER IM MUSEUM (VII) Das Rot-Kreuz-Museum nahe Pinneberg ist mehr als eine Sammlung aus Bierkrügen, Plakaten und Uniformen. Auch die hierarchisch-militärische Seite des DRK ist dokumentiert

Warum nicht den Sommer nutzen, um aufzuspüren, was die Peripherie oder – gut versteckt – die eigene Stadt an Kultur zu bieten hat? Wir stellen in dieser Serie einige Museen, Gedenkorte und Initiativen vor, die zu besuchen sich lohnen könnte.

Ob die Radiostimme männlich oder ob sie weiblich war – stets gab sie sich große Mühe, neutral und sachlich zu sein. Und las mit entsprechend monotoner Stimme vor, auf welchem Bahnhof das Kind aufgegriffen worden sei, woran es sich vielleicht erinnern könne und wie es unter Umständen heiße: Andreas oder Elisabeth, möglicherweise. Verloren gegangen auf einem der Trecks aus Ostpreußen, Pommern oder Schlesien, im Winter 1945. „Ja, ich erinnere mich auch“, sagt Udo Breyer vom Deutschen Rot-Kreuz-Museum in Thesdorf bei Pinneberg. „Sonntags, 13.10 Uhr wurde das gesendet.“

Er angelt ein schmales, langes Buch vom Regal mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Kindern, nach deren Eltern man damals suchte. Dieser Dienst vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), der mit Plakaten, Anzeigen oder eben Radiosendungen, an die sich heute noch viele erinnern, nach den vermissten Eltern von Kindern suchte, wurde 1950 in München gegründet, erzählt Breyer. Er weist auf Kästen voller Karteikarten; auf ein ganzes Regal voller Bücher mit Fotos und Daten vermisster Soldaten. Dann führt er in den nächsten Raum des Museums.

Breyer ist gemeinsam mit seiner Frau Helga so etwas wie die gute Seele des Rot-Kreuz-Museums. Und man muss ein wenig Geduld haben, will man es finden. Doch dann, wenn man entlang der Bahngleise tapfer voran geschritten ist, wenn man die örtliche Wasserski-Anlage schon hinter sich hat, wenn man sich sicher ist, sich längst in der Thesdorfer Au verlaufen zu haben, taucht plötzlich ein Ensemble verlassener Gebäude auf. Das ehemalige Altenheim des DRK wurde aufgegeben, weil es den heutigen Standards in der Altenpflege nicht mehr entsprach. Nun sucht man für die Häuser einen Käufer oder wenigstens Mieter. Dazwischen ein lang gestreckter Flachbau, in dem das Museum untergebracht ist. Geöffnet ist es nur Mittwochnachmittag. Oder man ruft die Breyers an.

Gegründet wurde das Museum 1962 von Hans-Peter Tank, einem Rot-Kreuzler mit Leib und Herz. Er fand damals in einer DRK-Kleiderkammer eine Original-Uniform von 1936, die er einfach nicht zur Weiterverwertung abgeben mochte. Er begann, alles zu sammeln, was irgendwie mit dem Roten Kreuz zu tun hat: aus der Kaiserzeit, aus der Weimarer Republik, aus der NS-Zeit und aus der Bundesrepublik. „Die Leute haben viel vorbei gebracht, Herr Tank hat auch einiges auf dem Sperrmüll gefunden“, sagt Breyer. Auch auf Flohmärkten und bei Auktionen sei er fündig geworden.

Seit 1995 wird das Museum vom DRK-Kreisverband Pinneberg getragen. Die Sammlung präsentiert sich in praller Vielfalt: Bierkrüge mit roten Kreuzen sind ebenso zu betrachten wie eine komplette Funkstation. Verschiedene Rollstühle drängen sich aneinander, Uniformen sind zu begutachten. „Helfen –das schönste Erlebnis“ heißt eine Plakatserie, die sich ausschließlich an Frauen richtete, die ehrenamtlich in der Altenpflege, im Krankenhausdienst und für den Zivilschutz gearbeitet haben.

Und wer etwas Geduld mitbringt, findet zwischen all den Ausstellungsstücken auch jede Menge interessante Zeitdokumente, die zeigen, wie sehr das Rote Kreuz trotz aller Bekenntnisse zur Friedfertigkeit, oft auch hierarchisch-militärisch organisiert und orientiert war. „Gedenkt unser Krieger und Verwundeten“, heißt es auf einem Plakat aus dem Ersten Weltkrieg. Gesammelt wurden Spenden auch für die ehemaligen deutschen Kolonien, „die man uns entrissen“ habe.

Im Dezember 1937 wird das DRK offiziell aufgelöst, im Januar 1938 der Wehrmacht unterstellt. Proteste oder auch nur leise Widerworte habe es seinerzeit nicht gegeben. „Befehl war Befehl, so hat man damals gedacht“, sagt Breyer. An der Wand im betreffenden Schauraum hängt ein großes Banner: „Rot Kreuz-Arbeit ist selbstloser Dienst an Volk und Vaterland in ständiger Hilfsbereitschaft.“ Ein Zitat – von Adolf Hitler.  FRANK KEIL

Museum für Rot-Kreuz-Geschichte, Rehmen 89, 25421 Pinneberg; ☎ 04101 / 239 90