berliner szenen
: Sie sind jetzt Tag für Tag länger auf

Während ich selbst seit einiger Zeit so etwas wie eine Corona-Tagesstruktur habe, scheint sich bei den Kindern um mich herum alles zu verschieben. Mein Wecker klingelt um sieben. Dann Kaffee und Zeitung, raus zum Joggen. Dann Homeoffice, Telefonate, Haushalt, Mittagessen. Dann der stressige Teil: Kind macht Schule. Dann noch ein bisschen Arbeit, Online-Yoga oder Spaziergang, Abendessen, Film schauen. Schlafen.

Die kleinen Menschen über uns sind hingegen komplett aus dem Takt. Sie stehen auf, wenn ich vom Joggen komme. Und dann hört man sie eigentlich den ganzen Tag nur schreien und rennen. Je nachdem, in welchem Raum sie das tun, ist einer von uns tierisch genervt.

Manchmal verlassen sie die Wohnung. Dann hört man das Schreien und Rennen im Treppenhaus und auf der Straße. Aber meistens sind sie eben in der Wohnung. Löblich. Und laut.

Am Sonntag hat der Lärm eine neue Stufe erreicht: Mit selbst gebauten Percussions und Gesang gab es ein Konzert über meinem Bett. Zum Glück mittags. Weil: Sie sind jetzt auch Tag für Tag länger auf. In der Regel bis Mitternacht.

Unser Sohn ist zum Glück schon groß. Etwa zwanzig Stunden des Tages verbringt er mit Handy auf seinem Bett im abgedunkelten Zimmer. In-Ear-Kopfhörer erschweren die Kommunikation. Um ihn zum Essen zu bitten, muss man sein Zimmer betreten (was er nicht will) und vor ihm hoch- und runterspringen, damit er seine Eltern bemerkt. Dann blafft er uns an: „Mann ey, ihr sollt doch nicht einfach so reinkommen.“ Einzige Abwechslung sind die Mahlzeiten. Und die zwei Stunden, in denen ich ihn zur Schularbeit zwinge. Ich entziehe ihm dafür sein Handy und bedrohe ihn von hinten mit einer Schusswaffe. Danach trinke ich Kaffee. Tagesstruktur und so. Sagte ich schon, oder? Gaby Coldewey