Iraks Verfassung in schlechter Verfassung

Verfassungskommission will Frist zur Abgabe eines Entwurfs für Iraks endgültige Nachkriegsverfassung von Mitte August auf Mitte September verschieben. Denn Kurden, Schiiten und Sunniten sind sich über föderale Rechte und islamisches Recht uneins

AUS ERBIL INGA ROGG

Die Fertigstellung der nächsten Verfassung für Irak dauert voraussichtlich länger als geplant. US-amerikanischem Druck zum Trotz hat Iraks Verfassungskommission gestern eine Verlängerung der Frist für die Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs um 30 Tage gefordert. Sollten die Parlamentarier dafür heute erwartungsgemäß grünes Licht geben, muss der Entwurf bis zum 15. September im Parlament zur Abstimmung vorliegen statt wie bisher geplant am 15. August. Damit verschiebt sich freilich auch der Termin für die Wahl der ersten vollständig souveränen Volksvertretung des Landes um einen Monat.

Bisher gibt es unter den irakischen Verfassungsvätern und den wenigen Frauen in der Kommission wenig Einigkeit über den Inhalt der Verfassung. Die schiitische Mehrheit in der Kommission will den Irak in einen islamischen Staat verwandeln, in dem die Scharia oberstes Gebot ist. Dabei kann sie zwar auf den Zuspruch der sunnitischen Fundamentalisten bauen, nicht jedoch auf den der Kurden. Ginge es nach den Kurden, würde das Zweistromland in mehrere Teilstaaten mit weitgehender Autonomie geteilt. Aber dagegen laufen insbesondere die sunnitischen Araber Sturm, die in einer Dezentralisierung schnell den Staatszerfall und die eigene Schutzlosigkeit wittern.

Mittlerweile haben freilich auch andere Regionen als die kurdischen Geschmack an der politischen Selbstverwaltung gefunden. Gemäß der geltenden Übergangsverfassung können sich bereits heute jeweils drei Provinzen zu einer Föderation zusammenschließen; ausgenommen sind Kirkuk und Bagdad. Entsprechende Bestrebungen gibt es in den drei schiitischen Südprovinzen Basra, Amara und Nasserija, wo etwa 80 Prozent der irakischen Erdölvorkommen lagern. Über Jahrzehnte von Bagdad vernachlässigt, wollen ihre Einwohner sich endlich ein Stück vom Kuchen für sich allein sichern.

Außer wegen der für Irak neuen Minderheitenrechte wurde das vorläufige Grundgesetz, als es vor gut einem Jahr entstand, vor allem wegen der Verankerung von Freiheits- und Bürgerrechten gefeiert. Durch die Festlegung, dass der Islam zwar eine, aber nicht die absolute Rechtsquelle ist, wurde die Religionsfreiheit der heterodoxen Minderheiten garantiert. Den schiitischen Fundamentalisten ist das ein Dorn im Auge. Sie verlangen, dass der Islam künftig zur alleinigen Quelle der Rechtsprechung wird. Kein Gesetz dürfe in Widerspruch zum Islam stehen, heißt es in einem von der schiitischen Mehrheitsfraktion lancierten Entwurf. Überwacht werden soll das von einem Obersten Gerichtshof, in dem dann schiitische Mullahs und sunnitische Imame entscheiden.

Vor allem das Zivilrecht haben die Fundamentalisten im Visier. Heirat, Scheidung und Erbschaftsangelegenheiten wollen sie der Scharia unterwerfen. Frauenorganisationen laufen bereits dagegen Sturm. Doch sie haben keinen leichten Stand. Im schiitischen Süden haben die Erzkonservativen bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Sittenwächter ahnden dort nicht nur offenes Haar, sie jagen auch Verkäufer von Alkohol und Videofilmen.

Angesichts dieser Entwicklung glaubt der kurdische Parlamentspräsident Adnan Mufti nicht, dass sich die verschiedenen Interessen unter einen Hut bringen lassen. Er favorisiert deshalb die Stärkung der Provinz- und Stadtparlamente mit eigenen Verfassungen, vergleichbar den Länderverfassungen in Deutschland. „Wir müssen den kulturellen und politischen Unterschieden unter uns Rechnung tragen“, sagt Mufti.

Den Ländern und Kommunen derart weit reichende Rechte einzuräumen geht für die Sunniten hingegen zu weit. „Die irakische Verfassung muss die Einheit des Iraks garantieren“, sagt Ahmed al-Obeidi von der Republikanischen Gruppe, einer nationalistischen sunnitischen Partei.

Das Beste, was den Irakern angesichts dieser Gräben passieren könnte, wäre die Beibehaltung der Übergangsverfassung. Da dies das Scheitern des politischen Fahrplans bedeuten würde, befinden sich alle Beteiligten in der Bredouille. Die neue Verfassung scheitert, wenn sie in 3 von 18 Provinzen keine Zweidrittelmehrheit findet. Neben den Kurden besitzen damit auch die Sunniten ein Vetorecht. Somit steht das Tor für weitere Konflikte offen.