die woche in berlin
: die woche in berlin

Was bedeutet es für die Kultur- und Party-Hauptstadt, wenn bis – mindestens – Ende August alle großen Veranstaltungen ins Wasser fallen? Vor welchen Aufgaben steht der neue Hertha-Trainer Bruno Labbadia? Und wie will das der Senat hinkriegen mit Abstand halten und Hände desinfizieren, wenn die Schulen peu à peu wieder öffnen?

Hygiene soll Schule machen – irgendwie

Berlin öffnet ab 27. April die Schulen. Kann das klappen?

Kinder und Hygiene – das ist zu guten Teilen ein Widerspruch in sich. Schule und Hygiene in Berlin zu guten Teilen leider auch. In der Anlaufphase nach dem Lockdown kommen nun alle drei Faktoren zusammen und stellen Bildungsverwaltung, Schulen, Eltern, LehrerInnen und natürlich die Kinder vor Herausforderungen, die sich nicht wirklich bewältigen lassen.

Bund und Länder haben am Mittwoch beschlossen, dass ab 4. Mai die Schulen wieder schrittweise geöffnet werden können. In Berlin werden das die 11. Klassen an Gymnasien, die 9. und 12. Klassen an Integrierten Sekundarschulen sowie die 6. Grundschulklassen sein, wie Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Donnerstag mitteilte. Die 10. Klassen starten wegen der Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss (MSA) sogar schon am 27. April. Aber natürlich kann das nur ein Anfang sein, weitere Klassen sollen bald folgen – schließlich sind am 25. Juni bereits Sommerferien in Berlin.

Vor der Öffnung aber muss jede einzelne Schule einen „Hygieneplan“ aufstellen, haben Bund und Länder entschieden. Wie der genau aussieht, ist unklar. Sicher ist: Schulen müssen besser als bisher sicherstellen, dass auf Toiletten Papier, Desinfektionsmittel und Seife wirklich vorhanden sind. Das ist zwar keine leichte, aber immerhin eine lösbare, weil organisierbare Aufgabe.

Schwieriger wird es beim Abstandhalten: Um die vorgeschriebene 1,5-Meter-Distanz in den Klassenzimmern zu gewährleisten, müssen die vollgepackten Klassen halbiert und getrennt voneinander unterrichtet werden. Entsprechend mehr Lehrkräfte und Räume werden dafür gebraucht. Dabei sind LehrerInnen seit Jahren Mangelware, Ähnliches gilt für den Platz in Schulen.

Besonders für GrundschülerInnen dürfte es schwierig sein und auch Ängste hervorrufen, allein an einem Tisch zu sitzen, besteht ein guter Teil der Aufgaben doch im gemeinsamen Lernen, etwa im Austausch mit den Sitznachbarn. Und wie das Abstandhalten auf dem Schulhof funktionieren soll, wo es gerade ums Austoben, ums Rennen, ums Lachen geht, ist völlig unvorstellbar. Selbst wenn alle Kinder angehalten sein sollten, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen: Wer bitte soll das kontrollieren?

(Grundschul-)LehrerInnen stellt die Schulanfangsphase in der Coronazeit vor eine Zerreißprobe: Sie sollen ab Mai auch wieder physisch in der Klasse anwesend sein, Fragen beantworten, Nähe zeigen, aber gleichzeitig auf Distanz bleiben, auch zum Eigenschutz. Und an sich wäre es aus sozialen Gründen sinnvoll, die Schulen schnell für alle Kinder, gerade für solche aus bildungsfernen Schichten, zu öffnen – diese Forderung ignoriert aber die Sicherheit der LehrerInnen. Ganz abgesehen von der Frage, was passieren würde, wenn ein Kind oder ein Elternteil positiv auf das Coronavirus getestet würde: Wäre dann die ganze Schule wieder dicht?

Das Beispiel Schule zeigt, wie sehr unser früheres Leben auf Nähe aufbaute und wie schwierig es ist, auf diese Nähe zu verzichten. Und es belegt, dass ein Umgang mit dem Coronavirus, der individuelle Bürger- und Freiheitsrechte nicht völlig missachtet, vielfach eben nicht zu klaren, einheitlichen Lösungen führen kann, sondern Kompromisse aufzwingt, die erst im Nachhinein als richtig oder falsch bewertet werden können. Deshalb wird über diese Kompromisse immer diskutiert und verhandelt werden, was richtig ist und ganz im Sinne einer Demokratie in der Krise. Bert Schulz

Deswegen wird über diese Kompromisse immer diskutiert und verhandelt werden, was richtig ist und ganz im Sinne einer Demokratie in der Krise

Bert Schulz über die Pläne des Senats, die Schulen wieder zu öffnen

Der Trainer als Therapeut

Bruno Labbadia übernimmt die Mannschaft von Hertha BSC

Ein bisschen gemein war die Frage schon. Wie er sich denn fühle als vierter Trainer in dieser Saison, wurde Bruno Labbadia bei seiner Vorstellung als neuer Trainer von Hertha BSC am Montag gefragt. Zuvor hatte Labbadia verraten, dass Hertha schon im Sommer sein Wunschverein gewesen wäre. Bekanntlich hatte Manager Michael Preetz zu dieser Zeit aber nicht auf den gebürtigen Darmstädter gesetzt, sondern mit Ante Covic auf eine interne Lösung. Der folgte dann das kalifornische Lächeln von Jürgen Klinsmann und nach dessen polnischem Abgang Klinsmanns Co-Trainer Alexander Nouri.

Bruno Labbadia hätte also Gelegenheit gehabt, über sich und seine Gefühlswelt zu sprechen. Stattdessen sagte er, was ihn am meisten beschäftige, sei nicht die Frage, der wievielte Trainer er sei, sondern was diese Situation mit der Mannschaft gemacht habe. Nicht als Trainer sprach der 54-Jährige in diesem Moment, sondern als Therapeut.

Und den hat die Mannschaft von Hertha auch dringend nötig. Zuletzt haben die Spiele in Düsseldorf und zu Hause gegen Werder Bremen mit den frühen Gegentoren und den wilden Aufholjagden gezeigt: Da steht eine komplett desorientierte Elf auf dem Platz, die alle Automatismen verloren hat, sich gleichzeitig aber selbst einen Ruck geben kann. Wobei in den Wochen, bevor Corona den Liga­betrieb stoppte, auch deutlich war, dass dieser Ruck nicht vom Trainer kam, sondern den ehemaligen Führungsspielern, die unter Klinsmann aussortiert worden waren. Alexander Nouri, Herthas Trainer Nummer drei, war dabei eher Problem als Lösung. Das Gleiche galt für Nummern eins und zwei.

Nun also Nummer vier. Die Arbeit, die Bruno Labbadia vor sich hat, ist immens. Er muss den einzelnen Spielern Selbstvertrauen geben, der Mannschaft wieder eine Struktur, Hierarchien nicht zerstören, sondern wieder aufbauen, und erfolgreich soll er auch noch sein. Schließlich kämpft Hertha immer noch gegen den Abstieg. Der Abstand zum Relega­tions­platz beträgt sechs Punkte.

Allerdings hat Labbadia bei seinen letzten Stationen gezeigt, dass er solchen Aufgaben gewachsen ist. Wolfsburg hat er vor dem Abstieg gerettet und in der darauf folgenden Saison in die Europaleague gebracht. Vor allem menschlich, wird ihm seitdem nachgesagt, sei er anständig, geradeaus, eine natürliche Autorität also. Als Trainer und als Therapeut, der er nun sein muss.

Dass er nun schon vor der Sommerpause nach Berlin kam, spricht sowohl für ihn als auch für Manager Michael Preetz. Denn es geht derzeit weniger um einen Feuerwehrmann, der eine Mannschaft vor dem Abstieg retten soll. Vielmehr steht in der Coronapause bereits eine vorgezogene Saisonvorbereitung ins Haus. Das kann in der nächsten Spielzeit, in der Hertha hoch hinaus möchte, von Vorteil sein.

Vorausgesetzt, der Klassenerhalt gelingt. Erst Therapeut, dann Trainer, so lautet das aktuelle Stellenprofil von Bruno Labbadia. Uwe Rada

Gefangen im zivilisatorischen Korsett

Keine Großveranstaltungen bis 31. August: Das trifft Berlin hart

Auch wenn viele Details noch unklar sind, kann man eines schon sagen: Die in dieser Woche getroffene Entscheidung, bundesweit mindestens bis zum 31. August auf Großveranstaltungen zu verzichten, trifft die Berliner Stadtgesellschaft und die Kulturszene ins Mark. Es wird keinen 1. Mai geben, wie wir ihn kannten, keinen Karneval der Kulturen, keine Open-Air-Festivals, keinen CSD, keine Union- und Hertha-Spiele (siehe Text rechts) mit Publikum im Frühling und Sommer – Absagen von Liveevents wie der Fête de la Musique und dem Pop-Kultur-Festival werden wohl bald folgen. Das Lollapalooza Festival Anfang September ­abzuhalten scheint derzeit illusorisch. Größere Klubkonzerte und -partys: in weiter Ferne.

Auf Kulturveranstaltungen mit großen Menschenansammlungen zu verzichten ist natürlich vernünftig und richtig. Niemand will, dass Berlin ein zweites New York wird. Anlass zur Sorge gibt die Entscheidung dennoch. Welche psychosozialen Folgen der Verzicht auf jegliche Art von Freidrehen, von Luftablassen, von Entgrenzung haben wird, kann niemand vorhersehen.

Was macht der 50-Stunden-Büromensch eigentlich, wenn er nicht wenigstens einmal am Wochenende im Fußballstadion singen, grölen und schreien kann? Was macht es mit dem Konzertgänger, wenn er sich nicht gelegentlich in Rausch, Ekstase und Exzess verlieren kann? Was machen all die Leute, die in Clubs nach Flirts, Nähe und Sex suchen? Wenn all das, was die Funktion der Kompensation oder der Sublimierung hat, wegfällt, ist dies zwar kein Problem, das aktuell an erster Stelle steht – ein Pro­blem aber es ist trotzdem. Zumal wir ohnehin in den nächsten Monaten in einem zivilisatorischen Korsett mit jeder Menge Regeln gefangen sind.

Ein weitaus pragmatischeres Problem ist es, dass der Begriff „Großveranstaltungen“ nicht definiert ist. Der Bund hat entschieden, dass die so bezeichneten Events ausfallen. Nun sollen die Länder festlegen, was damit gemeint sein soll. Das ist auch deshalb keine gute Idee, weil bundesweite Standards zum Beispiel bei längst geplanten Tourneen helfen würden (wenn Band X, die 300-Leute-Venues bucht, in Köln spielen darf, in Stuttgart und Berlin aber nicht, ist das keine gute Lösung). Ohnehin wäre eine Gleichbehandlung von Klubs und Kulturorten in ganz Deutschland wünschenswert.

In jedem Fall sollte man sich bei der Definition von (Groß-)Veranstaltungen nicht nur an Besucherzahlen und den Kapazitäten der Venues orientieren. Die Massenevents absagen – richtig und gut. Ein Theater, ein kleiner Club, ein Literaturhaus aber hat Möglichkeiten, Veranstaltungen unter Einhaltung von Abstandsregeln und einem Mundschutzgebot auf die Beine zu stellen. Das wäre für diese Orte wichtig, damit sie ein Minimum an Einnahmen und Aufmerksamkeit im Überlebenskampf haben. Es wäre aber auch für uns, die wir nach Livekultur dürsten, wichtig.

Ermöglichen, was zu ermöglichen ist, sollte deshalb die Maßgabe sein – auch um den (stadt)gesellschaftlichen Schaden der Pandemie so klein wie möglich zu halten. Jens Uthoff