Soll man Gruppen anzeigen?

Joggen, Spazierengehen, in der Sonne sitzen: Dicht drängten sich am Wochenende mitunter die Menschen an der frischen Luft. Und einige unterliefen das Kontaktverbot bewusst. Wie geht man damit um? In Ruhe lassen? Ansprechen? Oder sogar die Polizei rufen?

ja,

denn zu viele Menschen halten sich vorsätzlich nicht an die Regeln.

Zum Beispiel am Osnabrücker Naherholungsgebiet Rubbenbruchsee. Der ist bei Frühlingswetter ein Zufluchtsort: Für JoggerInnen, SpaziergängerInnen, HundebesitzerInnen und Menschen, die sich das Treiben in der Sonne sitzend aus sicherer Distanz angucken wollen.

Am vergangenen Samstag konnte von sicherer Distanz dort aber keine Rede sein. Das lag nicht nur daran, dass die schiere Dichte all der Menschen den nötigen Abstand nur noch rudimentär gewährleisten konnte, sondern auch an Verstößen gegen das Kontaktverbot: Hier eine Gruppe von sechs Frisbee spielenden StudentInnen, dort eine große Gruppe TeenagerInnen, die je zu dritt Kopf an Kopf lustige Selfies machten, ein paar Schritte weiter eine achtköpfige Fitness-Gruppe beim gemeinsamen Workout. Und weit und breit kein Ordnungsdienst und keine Polizei in Sicht.

Wie soll man sich da verhalten? Gar nicht? Nein, das geht nicht, denn die Gruppen und Grüppchen, deren VirenträgerInnen fleißig die Kumpels anstecken, gehen ja auch woanders hin, kaufen ein, gehen zum Arzt oder zu ihrer Oma – und das wahrscheinlich genauso ignorant wie beim Gruppen-Selfie am See. Soll man sie also zurechtweisen? Sich der höchstwahrscheinlich ziemlich unerfreulichen Debatte mit offenbar eher triebgesteuerten Egoisten stellen, die auch noch in der Überzahl sind?

Es ist klar, dass das Kontaktverbot oft nicht funktioniert und es ist an vielen Stellen sogar nachvollziehbar, wenn es vorsätzlich gebrochen wird: Wenn Familien in beengten Verhältnissen leben und der einzige Ort, an dem die Kinder toben und die Eltern kurz durchatmen können, der eigentlich verbotene Spielplatz vor dem Haus ist; wenn zur Schlichtung von Konflikten dringend Kontakt mit Außenstehenden benötigt wird; wenn alte oder psychisch erkrankte Menschen ohne ihre gewohnten Kontakte krank würden.

Wenn aber fitte und fröhliche Menschen ihre Konstitution nicht dafür zu nutzen bereit sind, sich solidarisch zu verhalten und temporär mal ein bisschen weniger Kontakt auszuhalten, dann sollte man sich nicht scheuen, die Ordnungshüter anzurufen – nicht zuletzt aus ebenfalls egoistischen Gründen: Denn eine komplette Ausgangssperre, die nun wirklich niemand haben will, könnte damit vielleicht abgewendet werden. Simone Schnase

nein,

das Bedürfnis, Mitmenschen zu gängeln und den Kontrolleur seines Nächsten zu spielen, ist für die Gesellschaft ebenso gefährlich, wie der Virus. Es ist nicht allein die Polizei, die das Funktionieren einer Gesellschaft garantiert.

Fünf Jugendliche laufen in einer Reihe durch die Straße, Spaß scheinen sie auch noch zu haben, und nie-nie-mals halten die den Mindestabstand ein. Ein Fall für die Polizei? Gefährden die nicht Menschenleben?

Gemach, gemach! Die Strategie der Bundesregierung zielt gar nicht darauf ab, den Virus komplett zu stoppen. Ansonsten dürften auch Handwerksbetriebe nicht weiterarbeiten, Bauarbeiten müssten pausieren, mehr Firmen schließen. Die Strategie verlangt nur, die Coronaverbreitung zu verlangsamen, um die Krankenhauskapazitäten nicht zu sprengen. Insofern ist ein gewisser Grad an Unvernunft sogar eingerechnet.

Das eigentlich Erstaunliche ist, dass eine große Mehrheit an Menschen sich momentan aus Überzeugung an Regeln hält, die vor wenigen Wochen noch unvorstellbar schienen. Die Aufregung über Coronapartys, die Fixierung auf gut gelaunte Menschengruppen im Park, sie verstellen den Blick auf diese Gemeinschaftsleistung und kultivieren stattdessen ein generelles Misstrauen am Mitmenschen. Wer sagt denn, dass die sieben Menschen dort nicht doch eine Familie sind? Wer weiß, ob sie nicht in einer engen WG zusammenleben, oder zwangsweise in einer Massenunterkunft für Flüchtlinge, die trotz Protestes weiter bestehen?

Natürlich ist es ungerecht, dass Trittbrettfahrer von der Vernunft der Vielen profitieren. Aber es geht hier nicht um Verbrechen, sondern um Menschen, die nicht perfekt sind. Wer sich selbst an alle Vorschriften hält, obwohl gewiss auch sie oder er Lasten zu tragen hat, der darf missmutig auf ignorante Partypeople reagieren. Die Polizei zu rufen, ist aber keine Lösung: Eine Gesellschaft, in der der Einzelne sich als Kontrolleur seines Mitmenschen sieht, wird eine Krise wie die jetzige kaum schadlos überstehen.

Das Einzige, was dauerhaft hilft, ist: Einsicht. Menschen Dinge mitzuteilen, die sie vermutlich schon wissen, kann mühsam sein und unangenehm. Aber es heißt, daran zu glauben, dass Menschen zur Reflexion fähig sind. Die Coronakrise verlangt allen viel ab. Ja, wir sollten tapfer soziale Kontakte meiden. Aber wir müssen auch gnädig miteinander sein – auch dann, wenn Einzelne mal Regeln überschreiten. Lotta Drügemöller