die woche in berlin
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Corona, Corona: Nimmt Berlin denn nun endlich wirklich Jugendliche aus dem Flüchtlingslager auf Lesbos auf? Wie sind eigentlich die Helden an der Supermarkt­kasse vor einer Ansteckung geschützt? Und was kann man schon gegen ein „Zeichen des Zusammenhalts in der Corona-Krise“, das eine Moschee und eine Kirchgemeinde in Neukölln aussenden wollten, haben?

Wieder niemanden aufgenommen

Hilfe für Menschen auf Lesbos kündigt der Senat bisher nur an

Auch heute hat Berlin keine Menschen aus den völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln aufgenommen – diese Nachricht stimmt so seit Monaten. Nach Medienkriterien kann, was jeden Tag richtig ist, keine wichtige Nachricht sein. In diesem Fall aber dröhnt die Meldung täglich lauter in den Ohren.

Denn unerträglich ist diese Nachricht nicht nur, weil wir ziemlich genau wissen, wie elend das Leben in Lagern ist – nicht nur in denen auf den griechischen Inseln. Ohne fließendes Wasser, ohne ausreichende ärztliche Versorgung, ohne rechtlichen Schutz und ohne Platz.

Unerträglich ist die Nachricht auch, weil in der Zwischenzeit mehrmals diese andere Nachricht zu hören war: Berlin sei bereit, Menschen direkt von den griechischen Inseln aufzunehmen.

Die Regierungsparteien sind sich weitgehend einig. Etwa im Dezember, als der Regierende Bürgermeister (SPD) sich der von den Grünen angestoßenen Forderung anschloss und verkünden ließ, dass Berlin 70 Jugendliche sofort aufnehmen könnte. Dann Anfang März, als die Sozialsenatorin (Linke) noch mal vorrechnete, dass sie Platz für 2.000 Menschen habe. Laut Bildungssenatorin (SPD) gäbe es sogar aktuell 300 Plätze in der Jugendhilfe. Anfang April hatte sogar der eigentlich gar nicht direkt zuständige Justizsenator (Grüne) erklärt, dass es nun aber mal wirklich höchste Zeit wäre, 1.500 Menschen von den Inseln nach Berlin zu holen und dass das nun bald losgehen müsse.

Dem folgte am Dienstag vor Ostern ein Senatsbeschluss, dass Berlin Geflüchtete aufnehmen wolle – dem Vernehmen nach 50 Kinder, außerdem sei das Land nach Presseberichten bereit, zehn Kinder aus dem nun gestarteten Bundesprogramm aufzunehmen –, und dass der Senat dazu sehr bald mit dem Bund Kontakt aufnehmen werde.

Das ist aber nichts Neues: Auch diese Nachricht stimmt bereits seit Monaten. Sie wird bloß, im Unterschied zur ersten, nicht dringlicher, sondern erbärmlicher. Denn wenn sich die Politiker*innen hier einig sind, wenn es dazu sogar Beschlüsse gibt und Arbeitsaufträge, dann sollten auf die erste Nachricht Schlag auf Schlag weitere folgen. Etwa Meldungen zum Fortschritt der Planungen, zur konkreten Organisation – vielleicht wird es ja eine Luftbrücke? –, zum Ankunftstag der Menschen, zu ihrer rechtlichen Lage und ihren Unterkünften in Berlin. Und dann könnten wir auch mal darüber reden, ob das alles überhaupt genug ist.

Doch auf die nächste leere Ankündigung, das nächste leere Vorpreschen eines*einer Politiker*in können die Menschen in den Lagern – und die zahlreichen Unterstützer*innen von See- und Luftbrücken, die überall in der Stadt und im Internet zeigen: „Wir haben Platz!“ – gut verzichten.

Sie erwarten, dass etwas passiert. Bis dahin bleibt die andere, wichtige Nachricht: Auch morgen wird Berlin keine geflüchteten Menschen aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufgenommen haben. Uta Schleiermacher

Relevante, sehr riskante Arbeit

Kann die Bußgeldverordnung auch Beschäftigte schützen?

Gründonnerstag, im Supermarkt, früher Abend, Stoßzeit für Vorfeiertagseinkäufe nach Feierabend. Kein Gedrängel vor den Kassen: Die Menschen halten die Abstandsregeln ein, die auf dem Fußboden markiert sind. An den Kassen sind – noch nicht sehr lange – Plexiglasscheiben angebracht, die die Kassierer*innen (systemrelevanter Beruf!) vor den Kun­d*in­nen und diese vor jenen schützen sollen: Schutz vor dem Coronavirus, das sich vor allem über Atemfeuchtigkeit, Husten, Niesen verbreitet.

Das klappt in die eine Richtung ganz gut: Denn die Person an der Kasse sitzt. Selbst mit sehr feuchter Aussprache würde sie von innen gegen die Scheibe spucken. Ihre Kund*innen dürfen, damit auch sie vor ihnen geschützt ist, nicht größer als 1 Meter 50 sein – ihre Köpfe überragen die Schutzeinrichtung.

Wie viele Menschen ziehen täglich an einer Kasse, einer Kassiererin vorbei? Wer schützt Arbeitnehmer*innen, wenn Betriebe dafür keine ausreichenden Maßnahmen treffen?

Mitte März hat der Senat die erste Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus erlassen, am 23. März wurde sie verschärft. Und seit zehn Tagen gibt es einen Bußgeldkatalog, der Geldstrafen vorsieht, wenn etwa die vorgeschriebenen 1,50-Meter-Abstand zwischen Menschen nicht eingehalten oder andere Schutzmaßnahmen nicht beachtet werden. Dazu gehören etwa Besuchsverbote in Altenheimen und Krankenhäusern, die Schließung von Gastronomiebetrieben oder Wettbüros, aber auch Hygienevorschriften für den Einzelhandel, der weiter geöffnet bleiben darf – wie Supermärkte oder Baumärkte.

Seit Mitte März habe die Polizei, berichtete die Deutsche Presseagentur am Donnerstag, 1.003 Verstöße gegen die Eindämmungsverordnung festgestellt. 855-mal wurde die Schließung von Lokalen, Imbissen oder Wettbüros angeordnet. 4.661 Überprüfungen habe es im Freien gegeben. Seit dem 23. März wurden 1.061 Ordnungswidrigkeiten als Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz festgestellt.

Und fällt Ihnen etwas auf? Von Verstößen gegen Hygienevorschriften im Einzelhandel ist nicht die Rede. Ob auch solche bereits festgestellt und geahndet wurden, kann eine Polizeisprecherin auf taz-Anfrage nicht beantworten – die Polizei werte die aufgenommenen Ordnungswidrigkeiten dafür nicht detailliert genug aus.

Aber auch das muss hier erzählt werden: Zwei Tage lang hat die freundliche Polizistin sich um die angefragte Information bemüht. Vielleicht aus Solidarität? Denn: Auch Polizist*innen, die bei manchen Einsätzen Menschen nahe kommen müssen, sind dabei (noch?) nicht ausreichend vor dem Virus geschützt. Alke Wierth

Hoffnung, Zuversicht und Solidarität

Interreligiöses Zeichen führt zum Verbot des Gebetsrufs

Pünktlich zu Pessach, Ostern und Ramadan erlebt der Dialog unter den Berliner Kindern Abrahams den schönsten Frühling. Gerade dass die Freiheit der Religionsausübung – immerhin ein Grund- und Menschenrecht – extrem eingeschränkt ist, scheint das interreligiöse Miteinander sprießen zu lassen.

Das House of One etwa streamt über die sozialen Medien fleißig religiöse Orientierung ins allgemeine Tohuwabohu (hebräisch: wüst und leer). Und der RBB übertrug kürzlich ökumenische Krisen-Gottesdienste, in die auch jüdische und muslimische Stimmen integriert waren.

Während beim ersten dieser Gottesdienste die Herren Bischöfe noch sehr auf ihren katholisch-evangelischen Sendeprivilegien beharrten, gelang die liturgische Gleichberechtigung beim zweiten Mal schon besser. Mit den Vertreterinnen des Christen- und Judentums betete in der Gedächtniskirche Mohamed Taha Sabri, der Imam der Dar-Assalam-Moschee.

Doch solche abrahamitische Gemeinschaft kann nur blühen, wo nicht Rechtskonservative wie der Stadtrat Falko Liecke (CDU) das Sagen haben.

Sabris Moschee war es nämlich, die gemeinsam mit der evangelischen Genezarethgemeinde auch in Neukölln ein „Zeichen des Zusammenhalts in der Corona-Krise“ setzen wollte. Die Glocken von Genezareth und der Muezzin von Dar Assalam sollten täglich mit einem gemeinsamen Ruf zum Gebet „Hoffnung, Zuversicht und Solidarität vermitteln“.

Dass sich beim ersten Gebetsruf am 3. April spontan Menschen vor der geschlossenen Moschee einfanden – der Imam bestritt, dass es sich um Gemeindemitglieder handelte –, war dem Stadtrat für Gesundheit und Jugend ein willkommener Anlass zu einem grundsätzlichen Schlag auszuholen.

Er halte es für einen schweren Fehler der evangelischen Kirche, mit der Moschee in der Flughafenstraße „gemeinsame Sache zu machen“, schrieb er auf Facebook. Dar Assalam gäbe sich „nach außen liberal, predigt aber nach innen die Scharia“. Der legalistische Islamismus sei eine der größten Gefahren für die Demokratie, wie auch links­ex­tre­mis­tische Gruppen. In Bezug auf die So­zial­de­mo­kra­t*innen Franziska Giffey, Martin Hikel und Michael Müller ließ Liecke sich noch zu dem Satz hinreißen: „Berlin hat ein Islamismusproblem bis in die höchsten politischen Ebenen.“

Mit dem einmaligen Vorfall begründete der Stadtrat am Montag schließlich ein Verbot des Gebetsrufs – als ob das geltende Versammlungsverbot nicht ausreichen würde.

Mensch muss der Dar-Assalam-Moschee nichts anhängen, um entsetzt darüber zu sein, wie Liecke versucht, rechtes politisches Kapital aus der aktuellen Einschränkung des Grundgesetzes zu schlagen. Das, nicht der öffentliche Ruf zum Gebet, ist eine Gefahr für die Gesundheit der Demokratie. Stefan Hunglinger

Pünktlich zu Pessach, Ostern und Ramadan erlebt der Dialog unter den Berliner Kindern Abrahams den schönsten Frühling

Stefan Hunglingerüber die Freiheit der Religionsausübung in Corona-Zeiten