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Fotokopierer außer Dienst

Von vornherein als Schaufensterausstellung geplant: Bojan Sarcevic’ „Thank you for pointing to your perineum“ in der Galerie BQ ist die ultimativ passende Schau für den Spaziergang allein oder auf Distanz

Bojan Sarcevic' Installation in der Galerie BQ, Ansicht von außen Foto: Jörn Bötnagel

Von Beate Scheder

In diesen besonderen Zeiten scheint eine fast schon als ausgestorben geltende Tätigkeit ihre Renaissance zu erleben: der Schaufensterbummel, das Flanieren, so wie es einst Franz Hessel beschrieb, als eine Art Lektüre der Straße, bei der Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Café-Terrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu Buchstaben und Text würden. Mit den Menschengesichtern ist es gerade – bestenfalls – nicht so weit her, Café-Terrassen sind verwaist, Schaufenster und Auslagen jedoch spielen sich auf einmal wieder in den Vordergrund.

Als Bojan Sarcevic „Thank you for pointing to your perineum“ für die Galerie BQ als Schaufensterausstellung konzipierte, die nur von außen betrachtet werden soll, war davon noch nichts zu ahnen. Kein Mensch dachte damals über Corona oder Quarantäne nach. Was Sarcevic im Sinn hatte, waren grundsätzliche Überlegungen dazu, wie Kunst heutzutage präsentiert und konsumiert wird, Fragen zu Distanz, aber nicht zwischen Menschen, sondern zwischen Betrachter*in und Betrachtetem.

Sarcevic arbeitet mit Readymades, aktuell und sowieso, mit Gegenständen des Alltags, die er in neue Kontexte rückt. In „Thank you for pointing to your perineum“ ist das eine seltsame Mischung aus unter anderem Agavenblättern und Rollkoffern, Fotokopiergeräten, Spargel aus dem Glas, einer Eiswürfelmaschine und Erwachsenenwindeln. Sarcevic hat sie vor den Fensterfronten positioniert und sich dabei tatsächlich an Schaufenstergestaltungen orientiert, zumindest assoziativ. An klassischen Läden, Lokalen, die zu Büros oder Studios umfunktioniert wurden, und solchen, bei denen man nicht so genau weiß, worum es sich überhaupt handelt. Vorhangartig hängen Agavenblätter vorm Fenster, wie es vielleicht auch in einem Einrichtungsgeschäft der Fall sein könnte. Im Hintergrund spuckt die Eiswürfelmaschine Klümpchen aus, die zu Pfützen zerschmelzen. Auf den Kopierern sind konisch geformte Objekte aus Alabaster drapiert, die auf Architekturelemente aus dem antiken Mesopotamien Bezug nehmen, was wiederum auch in den Titeln durchscheint. Und dann ist da noch der Sound, sogenannter White Noise, der von den Scheiben rauscht.

Wie man sich auf all das einen Reim machen soll, dazu gibt es von Sarcevic maximal Andeutungen, aber keine Interpretationshilfe. Umso mehr sieht man sich genötigt, sich eigene, von den Ereignissen bestimmte Narrationen zu spinnen. Aus dem Spargel, der womöglich mangels Erntehelfer*innen in diesem Jahr zum raren Gut wird, aus den Rollkoffern, die urplötzlich aus Berlin verschwunden sind, aus den nutzlos herumstehenden Bürogeräten. Alles scheint irgendwie auf die momentane Ausnahmesituation hinzuweisen.

Eine Ausnahmesituation, die freilich auch die Galerie BQ betrifft: Eigentlich wäre die Ausstellung am 18. April zu Ende gegangen, danach wäre die nächste installiert worden, von David Shrigley für das Gallery Weekend. Nun liegt alles auf Eis. Sarcevic’ Ausstellung ist erst einmal bis zum 23. Mai verlängert. Normalerweise plant die Galerie ein Jahr im Voraus. Der nächste denkbare Zeitpunkt für Shrigley könnte Mitte Juni sein, zum Start der Berlin Biennale, aber ob die so stattfinden kann? Also besser erst im September, zur Art Week? Da wollen BQ eigentlich Cathy Wilkes zeigen, was sich wiederum nur schwer verschieben ließe.

Selbstverständlich mache ihn das alles nervös, sagt Galerist Jörn Bötnagel. All diese Fragen, auf die keiner eine Antwort weiß: Wird irgendwann alles nachgeholt werden? Oder werden Dinge ersatzlos gestrichen? Und was passiert in der Zwischenzeit?

Viele Galerien setzen gerade auf das Internet, auf Websites und Social Media. Sie bespielen Online-Viewing-Rooms, posieren auf Videos für Instagram. BQ machen nichts davon. Es würde nicht passen. Was für BQ zentral ist, sind die Ausstellungen vor Ort, die eigenen Räume. Digital lässt sich so was kaum vermitteln. Sarcevic’ Ausstellung ist ein gutes Beispiel dafür, eines, das aktuell aufgeht, aber: „Wenn ein halbes Jahr lang keiner in die Galerie kommen kann, ist das ein Problem“, sagt Bötnagel. Nicht nur konzeptuell, vor allem finanziell: Ohne neue Ausstellung keine neue Ware. Aus Sarcevic’ Ausstellung ist kaum etwas verkäuflich.

Sammler*innen, die online kaufen, sind die Ausnahme, nicht nur bei BQ. Soforthilfen haben Jörn Bötnagel und Yvonne Quirmbach trotzdem noch nicht beantragt, noch geht es auch so, wegen ein paar größeren Verkäufen, für die erst kürzlich die Rechnung gestellt wurde und – das zahlt sich gerade aus – wegen ihrer kleinen Infrastruktur: Neben den beiden gibt es nur einen Mitarbeiter, die Miete ist überschaubar. Noch verschafft das Luft. Wie lange? Auch diese Frage bleibt offen.

BQ Berlin, Weydinger Straße 10, bis 23. Mai

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