Knete statt Klatschen

Eine finanzielle Durststrecke? Schlechter Schlaf wegen unsicherer Zukunftsaussichten? Nicht viel mehr als Applaus zur Belohnung? Freiberufler:innen kennen das auch ohne Corona. Ein Chat-Verlauf zwischen einer Kulturjournalistin und einer freien Choreografin

Nehmen auch freie Kulturschaffende gern an – aber leben können auch sie davon nicht: Applaus Foto: Armin Weigel/dpa

Von Katrin Ullmann
und Ursina Tossi

Katrin@Ursina: Habe der taz einen Text zum Thema Durstrecke vorgeschlagen – melde mich, sobald ich Feedback habe … die Kulturseiten suchen händeringend nach Themen.

Ursina@Katrin: Wann treffen wir uns? Dienstag kann ich hier mal raus … ich muss ja jetzt Kinder hüten.

Katrin@Ursina: Dienstag arbeite ich. Wir machen im rotierenden System weiter … bei der Zeit.

Ursina@Katrin: Weitergeleitete Nachricht „Petition unterschreiben: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Coronakrise“.

Katrin@Ursina: Ich habe das Go von der taz – wollen wir heute Abend mal telefonieren? Oder willst Du schon mal anfangen mit Schreiben? Jede 3.000 Zeichen – das Honorar teilen wir oder verprassen wir … ist leider eh nicht viel.

Ursina@Katrin: Morgen telefonieren?

Katrin@Ursina: Ja! Bin allerdings in einer Skype-Jury-Sitzung. Also nach 17 Uhr?

Ursina@Katrin: O.k.

Katrin@Ursina: Wie geht’s Dir?

Ursina@Katrin: Das zweite große Stück, das ich plane, findet erst im Herbst statt. Das beruhigt mich gerade etwas. Aber Unterrichten kann ich jetzt nicht mehr, ich bin gerade gar nicht so erschüttert, wie ich sein sollte, dass Theater dichtmachen, die Veranstaltungen abgesagt werden und die Kurse und Seminare ausfallen.

Auch ohne Corona-Ausnahmezustand habe ich schlaflose Nächte, rechne, denke, grüble ich kreisförmig und auch ohne Pandemie packen mich Momente der Angst vor dem, was meine Existenz noch so bedrohen kann. Also eigentlich fühlt es sich an wie immer, nur jetzt: prekäres Dasein für alle!

Katrin@Ursina: Da die Theaterkritiken eh nie besonders gut bezahlt waren, bricht für mich nicht allzu viel weg. Ironie der Realität. Und zum Glück habe ich meinen Teilzeitjob bei der Zeit. Der rettet mir und meiner Familie den Arsch … Gehe gleich mit meinem Nachbarn joggen. Mit Sicherheitsabstand.

Ursina@Katrin: Habe gerade erfahren, dass ich wegen Asthma zur Risikogruppe gehöre. Ich darf gar nicht unter Leute. Gehe jetzt allein joggen. Ich habe Lust, über Whats-App zu schreiben, weil das der nette Weg aus der Arbeit ins Private ist, wenn ich am Rechner sitze. Meinst Du, wir könnten eine Konversation zwischen uns veröffentlichen?

Auf jeden Fall habe ich gerade auf Plateau eine Sendung gehört, in der es um die Situation freier Künstler:innen aus dem Theater-Performance-Tanz-Feld geht, und die klangen alle so positiv.

Katrin Ullmann ist seit 1998 freie Tanz- und Theaterkritikerin unter anderem für die taz, Theater heute, Tagesspiegel, Stuttgarter Zeitung und Die Zeit.

Ursina Tossi ist Philosophin und arbeitet als freie Choreografin und Tänzerin in Hamburg.

Erstens hatten die gar nicht so das Gefühl, extrem prekär zu leben, es gab da immer noch den festen Vertrag an der Stadtteilschule für Theaterarbeit oder das Lektorat beim WDR. Aber auch die Möglichkeit, endlich die Dissertation zu beenden, weil „man ja jetzt nicht mehr so abgelenkt wird“.

Außerdem denken sich alle Spitzenformate aus: Die Shows werden mitgeschnitten, der Unterricht digitalisiert, kleine Videos werden gedreht, um die Positionen der Projektbeteiligten vorzustellen, „was macht die Szenografin eigentlich so?“ – lauter kreative Krisenbewältigungsstrategien. Ich habe das Gefühl, eine notorische Nörglerin zu sein, die einfach nicht erkennt, welche Synergien hier gerade entstehen …

Katrin@Ursina: Das mit der Whats-App-Konversation schlage ich sehr gerne vor – mal ein anderes Format. Es geht generell auch nicht ums Nörgeln, sondern ums Gesehen werden. Das „Runterspielen“ der Lebenssituation finde ich schwierig … Die Kreativen finden schon eine kreative Lösung, heißt also: Die helfen sich selbst?!? Wie bequem für den Staat!!!

Ursina@Katrin: Wie bequem für alle – wenn niemand heult! Ich finde es schon erstaunlich, dass niemand über die Angst redet, dass der Scheiß nicht mehr aufhört und wie er unseren Alltag verändern wird. Komisch irgendwie, als wären das so Superheroes, die keine Schmerzen kennen oder so.

Also ich schlafe nicht wirklich gut: ) Das finde ich übrigens ist ein Link zum Thema Durststrecke. Das Vortäuschen von Heiterkeit, Leichtigkeit, jugendlichem Elan und Positivität bis zum Umfallen – und bis das die eigene Wirklichkeit wird.

Katrin@Ursina: Weitergeleitete Nachricht: Rettungsschirm Hamburg: „An alle Freiberufler in Hamburg: Betgens Garten 2 ist die Adresse: An der Burgstraße U2/U4 befindet sich das Amt für Selbstständige. Dort erwartet euch das Personal mit Umschlägen“ … Personal mit Umschlägen?!?

Ursina@Katrin: Im Prinzip ist das Social Dis­tancing, das jetzt passieren muss, nur die Fortsetzung oder Zuspitzung der prekären Situation als Freie, hier zeigt sich eine Regierungspraxis, die die Unsicherheit der Einzelnen nur so weit verschärft, dass es nicht zum Aufstand kommt, aber gerade diesen Zustand nutzt, um zu regieren. Neo-liberale Strategien halt: Konkurrenz zwischen uns, viele Einzelne kämpfen allein ums Überleben etc.

Katrin@Ursina: Die Salami-Taktik aus Angst vor Riots.

Ursina@Katrin: Die Whats-App-Elterngruppe von S. macht mich auch fertig. Alle 28 Teilnehmer:innen bedanken sich einzeln bei den Lehrer:innen für jede gesendete Hausaufgabe. Dabei ist das deren Job! 28 Mal klingelt es und 28 Mal danke: )

Katrin@Ursina: Im Homeoffice mit Homeschooling versuche ich jetzt nicht nur die eigenen freien Aufträge am Laufen zu halten, sondern auch den Job der (verbeamteten) Lehrer:innen, zumindest rudimentär, zu erfüllen. Ich finde das Engagement und die Flexibilität der Lehrer:innen gut und wichtig. Aber das Danke geht an alle.

„Auch ohne Corona-Ausnahmezustand habe ich schlaflose Nächte, rechne, denke, grüble ich kreisförmig und auch ohne Pandemie packen mich Momente der Angst“

Ursina@Katrin: Weitergeleitete Nachricht: „Applaus für das Gesundheitspersonal. Am Samstag, den 21.3.20 um 20 Uhr tritt ganz Deutschland auf seine Balkone und in seine Gärten und applaudiert den Ärzten und Krankenpflegern, Altenpflegern etc., um sich für ihren Einsatz gegen das Corona-Virus zu bedanken. Machen Sie auch mit!“ Nicht vergessen, vielleicht regeln wir in Zukunft die Belohnung für freie Kunst so …:): ): )

Katrin@Ursina: Diese Meldung macht mich auch fertig – wenn Applaus, dann für alle – oder?!? Sicher machen alle im Gesundheitssystem gerade einen Hardcorejob. Aber die Menschen, an der Supermarktkasse doch auch? Und zwar ohne Mundschutz. Und danke auch an unsere Kinder, deren Klassenreisen nicht stattfinden werden, die ihre Freunde nicht treffen dürfen …

Ursina@Katrin: Ich glaube, unseren Kindern wird das Jahr 2020 noch sehr lange im Gedächtnis bleiben … Meine sehen überhaupt keine Freunde mehr! Implodierende Kleinfamilie: ) Das absolute Gegenteil zu sonst. LegoLegoLegobauen und unbegrenzt ins Internet. Weitergeleitete Nachricht:„scientists warning social distancing for more than one year!“ So kommt der Schrecken in unser Leben: ein Ball mit roten Saugnäpfen.

Katrin@Ursina: Fast schon zu ästhetisch.

Ursina@Katrin: Ja, es gibt bessere ...

Katrin@Ursina: ... Monster.