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: Sind wegen MS Risikopatient*innen: Heike und Michael Rittel

Foto: privat

Heike Rittel ist besorgt: Sie hustet seit drei Wochen. Mit Wasser in der Lunge wurde sie von ihrem Hausarzt wieder heimgeschickt, inklusive eines Tablettenrezepts und der Diagnose „es müsse ja nicht Corona sein“. Sollte es nun doch Corona sein, könnte dies für Heike und Michael Rittel eine noch größere Gefahr bedeuten als für viele andere. Die beiden leiden unter der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose und zählen damit zur Gruppe, die mit höherem Risiko einen schweren Krankheitsverlauf zu befürchten hat. Nach den Zahlen des Bundesversicherungsamts leben in Deutschland rund 250.000 MS-Erkrankte.

Trotz des hartnäckigen Hustens und Kontakt zu möglichen Infizierten kann das Ehepaar Rittel nicht getestet werden. In ihrem Wohnort Wolfstein, einem kleinen Ort in der Nähe von Kaiserslautern, spüren die beiden den Ärztemangel schon seit Jahren. „Die Leute im Ort fühlten sich hilflos“, erinnert sich Michael Rittel. Der 61-Jährige gründete damals eine Facebook-Gruppe und rief eine Bürger*innenversammlung ins Leben. Daraufhin ließ sich eine neue Ärztin in der Stadt nieder. Genauso schnell verließ sie die Wolf­stei­ner*innen auch wieder, um eine weiter entfernte Hausarztpraxis zu übernehmen. Seitdem kommt nur noch an einigen Tagen die Woche ein Arzt nach Wolfstein.

Michael Rittel erzählt am Telefon von einem Investor, der vor zwei Jahren einen ehemaligen Supermarkt zu einem medizinischen Versorgungszentrum umbaute. Seitdem steht es jedoch leer. Rittel, der im Bau- und Umweltausschuss der Verbandsgemeinde sitzt, erhielt auf Anfrage seiner Fraktion der Linken aber nur spärliche Informationen: „Daran kann man sich die Zähne ausbeißen“, resümiert der 61-Jährige.

Dabei ist gerade das Ehepaar auf medizinische Versorgung angewiesen. Die regelmäßige Krankengymnastik ist seit Ausbruch des Virus für beide nicht mehr möglich. Zu groß sei das Risiko einer Ansteckung in der Physiopraxis, die personell so unterbesetzt ist, dass Massageliegen nicht nach jeder Patient*in desinfiziert werden können. „Wir werden daran nicht sterben, aber unsere Muskulatur verhärtet sich jetzt immer stärker“, erklärt Heike Rittel. Zumindest ihre Termine beim Neurologen können sie per Telefonkonferenz abhalten.

Seit nun drei Wochen haben die beiden ihre Außenaktivitäten auf ein Minimum beschränkt. „Jetzt gucken wir eben auch mal morgens einen Krimi im Fernsehen“, erzählt Heike Rittel lachend. Die vielen Corona-Sondersendungen könne sie mittlerweile schon nicht mehr sehen. Michael Rittel sitzt im Rollstuhl, seine Frau erledigt einmal pro Woche die Einkäufe. Im Ort gibt es nur einen Supermarkt, „aber dort ist seit Tagen alles ausverkauft“, erzählt sie. Auf Facebook haben die beiden nun um Unterstützung bei Einkäufen gebeten und zu mehr Solidarität aufgerufen. Eine Lehrerin aus dem Nachbarort habe darauf reagiert und Lebensmittel vorbeigebracht – „dafür waren wir sehr dankbar“, erinnert sich Heike Rittel.

„Aber das geht ja nicht nur uns so“, fährt sie fort. Viele ältere Menschen hätten nicht die Möglichkeit, übers Internet Unterstützung zu finden. Wer helfen will, solle dies erst einmal den eigenen Nachbar*innen anbieten. „Auch wenn die mediale Öffentlichkeit dann wenig davon mitbekommt, ist es viel stärker, im Stillen zu helfen.“ Luisa Kuhn

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