der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR
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… ist – um eine große feministische Theoretikerin zu kolportieren – „das Geschlecht, das nicht eins ist?“ Auf jeden Fall ist ihm nichts mehr suspekt als seinesgleichen. Wenn schon homosexuell, dann aber nicht so homosexuell wie die anderen Homosexuellen, lautet die Lebensdevise. Entsprechend leidenschaftlich werden die Feindschaften in der schöngeredeten schwulen „Gemeinde“ gepflegt: die Jungen gegen die Alten, die Lederkerle gegen die Tunten, die Integrationisten gegen die Autonomen und Subversiven. Hinter dem permanenten Bemühen nach Aus- und Abgrenzung steckt einzig der Wunsch, nur nicht so schwul zu sein wie der andere. Und wer weiß, vielleicht verliert sich dabei sogar die eigene verhasste Homosexualität.

Dass hinter der uralten Geschichte ein neuer Trend lauert, versucht das Berliner Lesben- und Schwulenmagazin Siegessäule in seiner aktuellen Ausgabe zu belegen. „Anders drauf“, behauptet die Titelschlagzeile: „Die Jungen machen ihr eigenes Ding!“ Das „eigene Ding“ entpuppt sich als Wunsch einiger Junghomos, um Gottes Willen nur nicht so zu sein wie der große schwule Rest. Nicht ABBA lieben, heißt die Devise, und auch nicht den CSD, „die engen Grenzen der schwul-lesbischen Leitkultur“ sollen gesprengt werden, denn: „Wir sind auf jeden Fall vielfältiger als das, was von außen wahrgenommen wird.“ Für all jene, freut sich der Siegessäulen-Autor, habe sich jetzt eine eigene Szene entwickelt.

Bei genauerem Hinsehen kommt nur eine weitere Differenzierung der sowieso schon sehr differenzierten schwulen Subkultur zum Vorschein. Jetzt haben halt die Schwulen mit einer Vorliebe für US-Punkrock und einer gelassenen Abneigung gegen Gucchi und Prada ihren eigenen Club, so wie vorher die Jungsliebhaber sich absentiert haben und die Fußballfans und die Sneakersfetischisten und die Wochenend-Drags und die Türkenliebchen und die Rosenberg-Adepten – die schwule Szene der Hauptstadt ist groß genug für eine ständige Zellteilung. Hauptsache, die einen kommen den anderen nicht zu nah.

Ähnliche Probleme müssen auch den stockkonservativen Kolumnisten der Welt, Tilman Krause, umtreiben. Das Schicksal hat ihn auf die schwule Seite gespült, und kaum etwas will ihm dort gefallen. Die „intellektuelle Substanzlosigkeit“ der Vorzeigeschwulen Klaus Wowereit und Guido Westerwelle ist ihm ebenso ein Graus wie „das karnevaleske Hully-Gully am CSD“. Krause bevorzugt den homophilen Rechtfertigungskanon ganz alter Schule. Seine Ahnen sind Geistesgrößen wie Stefan George und Thomas Mann, „in denen noch ein Wissen darum lebte, was sich auch bei Naturvölkern erhalten hat, wo Schwule oft in der Rolle des Schamanen begegnen: Dass nämlich Homos ihre Aufgabe auch darin sehen können, das heilige Feuer der Spiritualität zu hüten.“

Vielfältig sind die Versuche der Schwulen, ihrem eigenen Klischee und dem Vorurteil der anderen zu entwischen, selbst wenn letztlich alle wieder beieinander sind im Angesicht ihres sexuellen Begehrens. Ob neuester Club-Trend oder der Zauber uralter Spiritualität, zwei Strategien unter vielen, die eine Gemeinsamkeit belegen, der kein homosexueller Mann entkommt.