JENNI ZYLKA über PEST UND CHOLERA
: Mutende mit doppeltem Wortwert

Für Gesellschaftsspiele wie „Scrabble“, „Superhirn“ oder „Trivial Pursuit“ bringe ich einfach nicht genug Ehrgeiz auf

Über das Wort „Mutende“ kann man sich stundenlang streiten. Meiner Ansicht nach ist es eine Beugung von „muten“, wie in „ich mute dir etwas zu“. Der Ansicht meiner Freundin nach ist es totaler Quatsch und müsste, wenn überhaupt, „Zumutende“ oder „Anmutende“ heißen.

Aber ich will mich ja nicht streiten. Sondern eine Runde scrabbeln, ganz locker, ohne Duden und ohne andauernd die allwissende „Scrabble“-Königin anzurufen, denn die ist irgendwo im Urlaub, wo das Handy nicht hinreicht. Also lassen wir das Spiel sein, bevor noch in uns beiden der Gedanke keimt, die andere sei ein Dickkopf, der nicht verlieren kann. Ich habe mir aus solchen Gründen schon zu viele Freunde verspielt.

Mit meinem „Superhirn“-Freund herrscht seit Wochen Spielruhe, so lange, bis der spießige Problemphilosoph aus dem SZ-Magazin endlich auf meine Frage antwortet: Wenn zwei Menschen in unregelmäßigen Abständen nur eine bestimmte Zeit zum „Superhirn“-Spielen haben, ist es dann fair, wenn der eine sich zum Erraten des Knöpfchen-Codes so viel Zeit nimmt, dass dass der andere nicht mehr drankommt? Dass der andere anfängt, ist auch keine Lösung, denn dann schaffen wir höchstens zwei Spiele: ein ziemlich kurzes und ein nervenaufreibend langes. Mein „Superhirn“-Freund besteht darauf, dass man kein „Ins Blaue Raten“ von ihm verlangen könne, auch wenn die Partie dann regelmäßig nicht zum Ende kommt.

Meiner Meinung nach geht es wieder nur ums Nicht-Verlieren- Können. Aber der spießige SZ-Problemphilosoph hat bestimmt ein paar tolle antike Gleichnisse im Ärmel, die ich meinem „Superhirn“-Freund zukünftig vor den Latz knallen kann. Ein anderer Freund, mit dem ich einmal ein paar Tage lang ein Zimmer in der Pension „Weniger“ auf Borkum teilte, in der der Wirt jeden Morgen die zerfledderten Groschenhefte im Gemeinschaftsraum nachzählte, lief nach einem kleinen Canasta-Disput drei Stunden lang über die Insel, um sich abzukühlen.

Ich weiß auch nicht, wer das Wort Gesellschaftsspiele erfunden hat. Eigentlich müssten sie „Garantiert-freundefreie-Spiele“ heißen. Es sei denn, man erhebt das Streiten über Spielregeln selbst zum Sozial-Content des Spiels.

Mein bester Freund spielt ausschließlich Skat – was ich leider nicht kann, obwohl ich auch gern blöde Sprüche wie „Pikus der Waldspecht“, „Hand hat allerhand“ oder „Dem Freunde kurz, dem Feinde lang“ kloppen würde – und „Trivial Pursuit“.

Darin ist er so gut, dass man normalerweise vor ohnmächtiger Scham ganz mickrig gegenübersitzt und zuguckt, wie seine Spielfigur quasi ohne Pause über das Spielfeld marschiert und Törtchen in jeder Kategorie einheimst. Wenn er doch mal etwas nicht weiß, zum Beispiel wann irgendeine Strawinsky-Uraufführung stattgefunden hat, dann beißt er sich in den Hintern und liest bis zum nächsten Mal drei Strawinsky-Biografien. Und wenn er in Geschichte oder Sport versagt, erhängt er sich stante pede. Wenn ich mal ein Törtchen ergattere, weil ich zufällig die Antwort auf eine Frage wie „Wie heißt der Komiker Otto mit Nachnamen?“ weiß, dann freue ich mich immer so sehr, dass ich kaum weiterspielen kann. Aber ich habe natürlich noch nie gewonnen. Wenn mein bester Freund und ich Pferde bei einem Galopprennen wären, dann stünden die Wetten bei mir 342 für zehn und bei ihm 18 für zehn.

Bei dem letzten Pferderennen auf der Ostseerennbahn bei Rostock, auf die ich neulich rein zufällig geriet, setzte niemand der schnieken, mit Strohhüten verzierten Mecklenburg-VorpommererInnen auf die Außenseiter, nur ich, aus Solidarität.

Natürlich gewannen die drei Favoriten, und meine Einsfünfzig waren futsch. Aber das ist mir egal, ich weiß, wie so ein Pferd sich fühlt. Es geht eben nicht immer nur ums Gewinnen, sondern manchmal will man einfach nur nebenher traben.

P.S.: Die „Scrabble“-Königin ist wieder im Lande. Ich habe mich erkundigt: „Mutende“ geht. Wie scheißt man das jetzt, Tage nach dem Spiel, unauffällig an der richtigen Stelle klug?

Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST UND CHOLERA Fragen zum Spiel? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN