Ein blendender Kanzler

Gerhard Schröder inszenierte seinen Solo-Auftritt bei „Christiansen“, als wär’s ein TV-Duell ohne Gegnerin gewesen. Fragen begegnete er souverän, kumpelig, kenntnisreich – je nach Bedarf

VON ULRIKE WINKELMANN

Der Kanzler war blendend. Gerd, Gerhard Schröder, Medienkanzler, Volkstribun, fast hätten wir ihn vermisst. Da gibt ARD-Sonntagstalkerin Sabine Christiansen ihm die Gelegenheit, nicht nur sie, sondern gleich eine ganze Reihe von Experten plus ein WASG-Mitglied zu demütigen.

Holprig-repetitiv stottert der Kanzler-Sprechautomat zunächst. In fünf Minuten kommt allein der Satz mit den Bausteinen „fest davon überzeugt“, „dieser Weg“, „für unser Land“ sowie „richtig und wichtig“ drei Mal. Doch klatscht das Publikum – entweder schon in Trance oder vom Kanzleramt geschickt – bei der Dopplung „richtig und wichtig“ regelmäßig. So nimmt Gerd Schröder, der Herrscher des patriarchalen Selbstzitats, Fahrt auf. Natürlich seien Gregor Gysi und Oskar Lafontaine weder regierungs- noch satisfaktionsfähig, deshalb sei eine Koalition mit ihnen nicht zu machen – „soll ich jetzt basta sagen?“

Nun hat man Schröder auch ungeschickte Gegner vorgesetzt. Helmut Laakmann, ein alter Krupp-Kämpfer in Duisburg-Rheinhausen und frisch aus der SPD aus- und der WASG beigetreten, hält dem Kanzler den Ausbildungspakt entgegen. Und trotzdem seien doch 700.000 Jugendliche ohne Job.

Für Schröder, den Kumpel – „früher hätten wir Du zueinander gesagt“ – nur eine Vorlage. Von sämtlichen Maßnahmen am Arbeitsmarkt hat ausgerechnet der Pakt zwischen Wirtschaft und Regierung tatsächlich funktioniert. Es wurden 2004 mehr Ausbildungsplätze geschaffen als abgebaut. Deshalb glaubt auch Schröder daran, dass sich in der Welt noch etwas bewegen lässt – „man muss deswegen nicht in diese komische Partei gehen.“ Dieses Jahr versagt der Ausbildungspakt schon wieder. Doch das erwähnt Schröder nicht. Und sonst auch keiner.

Edgar Most, engagierter Experte für den Aufbau Ost, fragt zu Recht nach dem Verbleib des Ausbildungspakts. Doch wird er von seiner eigenen Eitelkeit eingeholt. Denn Most hat mit dem Kanzler schon persönlich gesprochen. Statt anzugreifen, endet er mit dem Satz: „Da hätte ich gern mit dem Kanzler noch mal wieder drüber gesprochen“. Kann er haben. Schröder, der Plauderrunden-Chef, lädt ihn natürlich dazu ein. Es folgt sein Hohelied aufs Erreichte im Osten, von Plasmaphysik bis Werftindustrie. Und, ja: „Mir ist es doch selbst nicht genug.“ Aber den Osten redet ihm keiner klein, auch Most nicht.

Leichtes Spiel auch mit Bernd Raffelhüschen. Eigentlich ist der Volkswirt aus Freiburg der Union wie der privaten Versicherungswirtschaft treu. Doch lobt er zunächst Schröder für den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rente, nur greife der nicht.

Ihm bescheinigt der Kanzler aus kleinen Verhältnissen, dass er auch an die Menschen mit den „verdammt kleinen Renten“ zu denken habe. Er bringt sogar noch unter, dass er selbst auch mit 14 Jahren eine Lehre angefangen habe.

Christiansen dagegen bekommt ihre Fragen kaum noch zu Ende, ein Gast nach dem anderen überreicht Schröder ein Stichwort wie einen Pokal. Einzig Thomas Selter von der „Arbeitsgemeinschaft Mittelständischer Unternehmer“ punktet: O nein, der Kanzler bekomme bestenfalls alle vier Jahre eine Bilanz auf den Tisch. Er, der Unternehmer, müsse jährlich seine Ziele mit den Zahlen abgleichen.

Zur Strafe dekliniert Schröder, der detailkluge Experte, ihm die rot-grünen Steuerreformen vor. Es stimmt zwar einfach nicht, was er sagt. Denn nicht die (kleinen und mittelständischen) Personengesellschaften, sondern die großen Kapitalgesellschaften können mit „klugen Steuerberatern“ ihre Steuerschuld praktisch gegen null drücken. Applaus gibt es trotzdem.

„Eines geht nicht: Was der Mittelstand am liebsten hätte, dass er gar keine Steuern mehr zahlt und vom Staat am liebsten noch welche hätte“, sagt Schröder höhnisch Richtung Selter. Genau dies ist jedoch die nur irreal anmutende Beschreibung dessen, was Schröder den großen Kapitalgesellschaften in der ersten Legislatur beschert hat: Dank rot-grüner Begünstigungen brachen die Gewerbesteuer und damit die Städte-Haushalte nicht nur ein – die Kommunen mussten plötzlich den Konzernen sogar Steuern „zurück“-zahlen.

Sollte es je einen sozialdemokratischen Mittelständler gegeben haben – seine Stimme ist nun mit Sicherheit verloren. Doch Schröder weiß ja, mit wem er reden möchte. Nicht mit dem Mittelstand. Nicht mit der Linkspartei, die sich nun auch nicht mehr beonkeln lassen will. Auch nicht mit der SPD – kein einziges Wort widmete der Kanzler am Sonntag seiner Basis. Schröder möchte nur noch mit den Eingeweihten des Kanzlerkosmos reden, die ihm zustimmen.

Der Kanzler war blendend.