die woche in berlin
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Da sind auch andere Dinge passiert in dieser Woche, ja. Aber eigentlich gibt es derzeit nur ein Thema:
Corona

Gefährlich über die Epidemie hinaus

Corona I: Die Koalition zeigt kaum Geschlossenheit

Wenn der Chef mittags Hü sagt, sein leitender Mitarbeiter zweineinhalb Stunden später Hott und einer von drei Anteilseignern am nächsten Morgen im Alleingang ein ganz anderes Tempo fordert, so gibt solch ein Unternehmen nicht gerade ein Bild von Geschlossenheit und solider Führung ab. Das ist erst mal nur ein Problem des Unternehmens, das sich dann in sinkendem Aktienkurs und geringeren Verkaufszahlen ausdrücken kann. Anders ist es, wenn das Szenario gar kein Unternehmen beschreibt, sondern eine Landesregierung. Noch bedeutsamer wird es, wenn diese Landesregierung gerade ein Problem von bislang unbekannten Ausmaßen zu bewältigen hat.

So ungefähr muss man sich vorstellen, was es heißt, wenn ausgerechnet zu Zeiten von Corona das Machtgefüge in der rot-rot-grünen Koalition erodiert: Wenn Regierungschef Müller am Dienstagmittag keine Veranstaltungen absagen mag und auf ein Ministerpräsidententreffen am Donnerstag verweist, sein Kultur­senator von der Linkspartei aber am selben Nachmittag noch alle Veranstaltungen in den großen Sälen der staatlichen Theater, Opern- und Konzerthäuser stoppt (siehe nebenstehenden Text). Und wenn die Grünen am folgenden Mittwochmorgen dazu eine eigene forsche Pressemitteilung raushauen, was ein führender SPDler am Nachmittag eine „Erschütterung der Koalition“ nennt. Was wiederum an den Vorwurf „Angriff auf den Koalitionsfrieden“ von einer Woche zuvor erinnert, den die Grünen der SPD machten. Ihrem Koalitionspartner, um daran noch mal zu erinnern.

In normalen Zeiten sorgt dieser Streit bloß noch für Kopfschütteln, der Gewöhnung wegen manchmal nur noch für Unterhaltung. Allein schon aus der fatalen Erkenntnis heraus, dass sich am rot-rot-grünen Dauerzoff auch nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl nichts ändern wird – lieber streiten die drei in jetziger Zusammensetzung weiter, als mit CDU oder FDP zu koalieren.

In Krisenzeiten aber ist solcher Streit immens gefährlich – ganz praktisch, weil er Entscheidungen verzögern kann. Aber auch grundsätzlich. Denn er erschüttert das Grundvertrauen ohnehin verunsicherter Menschen in verlässliche Führung. Und das betrifft nicht etwa nur den Typus „Untertan“, den Heinrich Mann so gut beschrieben hat. Es geht um den schlichten Anspruch, dass die gewählte Regierung einer verfassten Gemeinschaft, in diesem Fall des Bundeslands Berlin, sich wenigstens in Krisenzeiten zusammenreißt, vorhandene Konflikte hintanstellt und ihren Job macht. Wenn das nicht passiert, dann ist zwar irgendwann hoffentlich Corona überwunden, aber das Vertrauen in die demokratischen Institutionen dauerhaft erschüttert. Stefan Alberti

Ein Schritt, der schmerzt

Corona II: Der Senat untersagt fast alle Kulturveranstaltungen

Wenn man rückblickend fragt, wann aus der Corona-Situation in Berlin eine existenzielle Krise wurde, dann ist der Dienstag wohl die naheliegendste Antwort: Gegen 17.30 Uhr verkündete Kultursenator Klaus Lederer (Linke), dass alle Aufführungen und Konzerte auf den großen Landesbühnen abgesagt werden, vorerst bis zum Ende der Osterferien Mitte April. Keine Arien mehr in der Deutschen Oper, keine Monologe auf der Bühne des Deutschen Theaters, keine Konzerte im großen Saal der Volksbühne. Die Hochkultur beugt sich dem Virus.

Die Popkultur musste prompt folgen: Tags darauf verbot Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci alle Veranstaltungen mit mehr als 1.000 BesucherInnen, also etwa Konzerte in Astra, Columbia- und Schmelinghalle. Und auch Clubs wie das Berghain lassen erst mal keinen mehr rein. Und am Donnerstag wurden dann alle landeseigenen Probebühnen, Museen, viele Privattheater und die Zentral- und Landesbibliothek geschlossen.

Ein Schritt, der schmerzt. Die Hauptstadt, die so viel auf ihr Kulturleben hält, verliert einen Gutteil ihres Glamours. Die Berliner, von denen viele das Nachtleben als Entschädigung für die Mühen der Großstadt sehen – und es schmerzt natürlich die Veranstalter, Organisatoren und Kulturschaffenden. Während den ersten beiden etwas fehlt, könnte es sein, dass Letztere bald fehlen werden. Viele Clubs und Konzertveranstalter stehen aufgrund der (erst mal) mehreren Wochen ohne Einnahmen plus die Erstattung der Eintrittskarten für abgesagte Events vor dem finanziellen Abgrund. „Geht das so weiter, sind viele von uns binnen kurzer Zeit tot“, erklärte etwa Dimitri Hegemann, Betreiber des Technoclubs Tresor.

Den Machern des Nachtlebens ergeht es damit wie anderen Branchen, etwa dem Hotelgewerbe oder Transport­unternehmen. Wird jemand für ihre ausfallenden Einnahmen aufkommen? Und wenn ja, wie? Fragen wie diese dürften, so denn der erste Höhepunkt bei den Coronainfizierten erreicht ist, die Debatte bestimmen.

Für die staatlichen Einrichtungen hat Lederer bereits Forderungen an den Bund gestellt. Die Kulturinstitutionen „mit den finanziellen Folgen der Einschränkungen allein zu lassen wäre unverantwortlich“. Doch Wünsche wie diese wird es viele geben, aus unterschiedlichsten Richtungen. Niemand will, wenn erst mal en gros staatliche Entschädigungen verteilt werden, außen vor stehen.

Einige Künstler bitten deswegen bereits jene Menschen, die Karten für wegen Corona abgesagte Veranstaltungen hatten, diese explizit nicht zurückzugeben, um die Organisatoren finanziell zumindest etwas zu stützen. Ein guter Vorschlag, zumindest für all jene, die sich das leisten können und sich das auch in Zukunft weiter leisten (können) wollen. Bert Schulz

Eine große Übung in Solidarität

Corona III: Die öffentliche Mobilität geht nicht zu Hause

Was das öffentliche Leben in dieser Stadt angeht, erleben wir gerade eine Art Vollbremsung: Die landeseigenen Theater, Galerien, Museen sind schon seit Donnerstagabend zu, die Schulen folgen ab Montag schrittweise, angefangen bei den Oberstufenzentren – die Kitas werden nachziehen. Der Druck auf die Clubbetreiber und Bars dieser Stadt zum Shutdown steigt ebenfalls, und vielleicht hat es sich bei Drucklegung dieser Zeitungsausgabe auch schon ganz definitiv ausgetanzt.

Genauso der öffentliche Nahverkehr, die größte Massenveranstaltung dieser Stadt: Noch ruckeln und rumpeln die S- und U-Bahnen, die Busse fahren, ­wenngleich man dort seit Donnerstag die Tickets nicht mehr beim Fahrer kaufen darf. Und die Fahrgäste scheint die Nähe zum unbekannten Sitznachbarn auch nicht sonderlich zu ängstigen – laut einer BVG-Sprecherin stelle man ­jedenfalls fest, dass das Wetter weiterhin der ­entscheidende Faktor für die Auslastung der Züge seien. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte dann allerdings Freitagmorgen erklärt, auch den ÖPNV auf ein „Mindestmaß“ herunterfahren zu wollen, wobei man vor allem den Schienenverkehr aufrechterhalten will.

Es ist vernünftig, dass der Senat gerade bei den Hauptschlagadern dieser Stadt, den S- und U-Bahn-Linien, eben keine Vollbremsung hinlegt. Wer das zu zögerlich findet, verwechselt Aktion mit Aktionismus. Denn selbst wenn jetzt ganze Unternehmen ins Homeoffice verschwinden: ÄrztInnen, PflegerInnen und Feuerwehrleute können ihren Job nun mal nicht online abwickeln.

Die öffentliche Mobilität teilweise einzuschränken ist zugleich psychologisch ein ziemlich wirkungsvolles Signal: Wer von Kita- und Schulschließungen nicht betroffen ist und mit Clubs und Co. nichts am Hut hat, mag die ganze Corona-Dramatik vielleicht bisher noch ignoriert haben.

Aber jetzt fährt das Virus auch ganz offiziell Bus und Bahn (Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte die „Stabilität“ von Sars-CoV-2 auf Haltegriffen Anfang der Woche noch in Zweifel gezogen), und selbst wer die Panik vor der Lungenkrankheit für überzogen hält, dürfte kapiert haben: Es geht hier nicht um den Einzelnen oder um die Frage, ob die allermeisten mit ein bisschen Husten davonzukommen scheinen. Es geht darum, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, Infektionsketten zu verkürzen, sodass eben nicht – wie in Norditalien – die Krankenhäuser irgendwann entscheiden müssen, welche Lungenentzündung sie behandeln können (und welche nicht).

Und weil es nicht um den Einzelnen geht, ist Covid-19 vor allem eins: eine große Übung in Solidarität. Bisher machen das die BerlinerInnen erstaunlich gut, übrigens gerade in der Bahn. Da wird sich artig auf Lücke gesetzt, wenn es nur irgend geht. Nur den Türknopf, den will keiner mehr so richtig drücken, und man kann immer mehr Mitpassagiere dabei beobachten, wie sie sich lieber an die Trennwände lehnen, statt den Haltestangen zu nahe zu kommen. Klar, da denkt jeder auch an sich. Aber am Ende schützen sich alle gegenseitig. Sollten wir beherzigen, auch für eine Zeit nach Corona, die es ja geben wird. Die nächste Influenzawelle kommt bestimmt. Anna Klöpper

das war’s

Was das öffentliche Leben in dieser Stadt angeht, erleben wir gerade eine Art Vollbremsung

Anna Klöpper über das Virus, das derzeit alle bewegt (und alles infrage stellt)