Nach Hanau: Zeichen, die ermutigen

Rechtsterroristen wollen die Gesellschaft in Angst versetzen. Doch das Selbstbewusstsein der Betroffenen wächst. Die Mörder werden ihr Ziel nicht erreichen.

Frauen tragen Transparente

Demonstration in Hanau nach dem Attentat Foto: Bernd Hartung

Ein „Weiter so!“ darf es nach Hanau nicht geben, heißt es auf Demonstrationen und in Leitartikeln. Aber was folgt daraus? Es war das dritte Mal, dass in Deutschland ein rassistisches Attentat nach dem Muster eines Amoklaufs verübt wurde. Das Motiv: Rassismus. Die erschreckendste Erkenntnis aus diesen Verbrechen ist, dass die Mörder mitten unter uns sind und jederzeit wieder zuschlagen können.

Die Täter von Hanau, Halle (2019) und München (2016) waren keine organisierten Faschisten der „Generation Hoyerswerda“ so wie der NSU oder der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, auch wenn sie sich deren Propaganda bedienen. Die Täter von heute sind tickende Zeitbomben, und sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft, die immer weiter nach rechts driftet. Die Situation ist deshalb brandgefährlich.

Rassismus ist nicht das Gift, das die Gesellschaft von außen zerstört, wie die Kanzlerin behauptet, sondern ein Fundament, das die patriarchale kapitalistische Ordnung in den reichen Metropolen des Nordens seit der Kolonisierung des Südens stützt. Die Krise des globalisierten Kapitalismus geht mit einem beängstigenden Aufschwung rechtspopulistischer Parteien, faschistischer Bewegungen und des Rassismus einher.

Die Rechtspopulisten sind die geistigen Brandstifter und die Paten der Rechtsterroristen. Politiker*innen nahezu aller Couleur greifen deren Hetzreden auf und setzen eine rigorose Abschottung gegen die Bewegung der Migration durch, fordern schnellere Abschiebungen und mehr Polizei gegen „ausländische Clans“. Die hessische Landesregierung ließ die VS-Akten kurzerhand für 120 Jahre sperren, verkürzte diese Frist aber auf 30 Jahre, weil diese Dreistigkeit nicht unwidersprochen blieb. Die Verstrickung des V-Mann-Führers Andreas Temme, der beim Mord des NSU an Halit Yozgat 2006 in Kassel am Tatort war, sollte offensichtlich vergessen gemacht werden. Dabei hatte die Kanzlerin den Angehörigen der Opfer 2013 lückenlose Aufklärung zugesichert.

Drang zur Selbstdarstellung

Das erklärte Ziel der Rechtsterroristen ist, die Gesellschaft so sehr in Angst und Schrecken und bürgerkriegsähnliche Zustände zu versetzen, dass sie sich als Ordnungsmacht dagegen inszenieren können. Es sei zweitrangig, ob die Mörder „verrückt“ seien, schreibt Georg Seeßlen in der Zeit vom 21. Februar 2020. Die Täter wähnten sich als Vollstrecker eines faschistischen Weltbildes und sind angetrieben vom grenzenlosen Hass auf alle Menschen, die sie als die Anderen identifizieren.

Was die Terroristen eint, ist ihr zutiefst rassistisches, antisemitisches und antifeministisches Weltbild und nicht zuletzt ihr Drang zur Selbstdarstellung. Ihre größten Vorbilder sind der Massenmörder Anders Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen tötete, und der australische Rechtsterrorist, der 2019 bei einem Attentat im neuseeländischen Christchurch 51 gläubige Muslime ermordete. Seit dem Mordanschlag 2016 in München, bei dem ein 18-jähriger Schüler im Olympiapark neun Menschen erschoss, war zu befürchten, dass rassistische Attentate, wie das auf Utøya, auch bei uns jederzeit stattfinden können.

Klaus Theweleit liefert in seinem Essay „Das Lachen der Täter“ eine Erklärung, was die Mörder antreibt. Sie seien „Dominanzmännertypen“ und glaubten, im Namen eines „höheren Rechts“ zu handeln. Für Theweleit sind diese rassistischen Mordexzesse keine Ausnahmen, sondern die unserer Gesellschaft zugrunde liegende Normalität.

Aber welche Handlungsmöglichkeiten bleiben uns nach dieser düsteren Diagnose überhaupt? Eine Antwort gibt uns die Mutter des in Hanau ermordeten Ferhat Ünvar: „Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein.“ Wir seien alle dafür verantwortlich, dass keinem weiteren Menschen zustoße, was ihrem Sohn zugestoßen ist. Der Versuch der Täter, sie zu Fremden zu machen, weisen die Familien der Opfer entschieden zurück. Das Erste, was wir tun sollten, ist, den Opfern und ihren Angehörigen beistehen, damit sie mit ihrem Schmerz nicht allein sind, ihre Stimmen und Geschichten gehört und die Ermordeten zu Subjekten werden und nicht vergessen werden.

Das war unsere Lehre nach der Selbstenttarnung des NSU. Es ist ermutigend, wie schnell die spontane Aufforderung #SayTheirNames nach Hanau aufgegriffen und verbreitet wurde. Aber das reicht nicht, denn wir können erheblich mehr tun: solidarische Netzwerke schaffen, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Geschichte sich respektvoll begegnen, sich zuhören und gemeinsam und entschieden dem alltäglichen Rassismus entgegentreten; Gesicht zeigen, sich nicht einschüchtern lassen, öffentlich Stellung beziehen und die vielfältigen antirassistischen Initiativen tatkräftig unterstützen und ihnen so zu mehr öffentlicher Wirksamkeit verhelfen.

Und weiter: den institutionellen Rassismus bekämpfen, zum Beispiel Racial Profiling und die Praxis der Polizei, bestimmte Personengruppen oder Orte wie Shisha-Bars einer besonderen Beobachtung zu unterziehen und sie zu stigmatisieren – und nicht zuletzt geschichtspolitische Initiativen ergreifen, in denen die Kämpfe der Migration sichtbar werden, um Menschen zu befähigen, sich kritisch mit kolonialen und rassistischen Denkmustern und gesellschaftlichen Machtverhältnissen auseinandersetzen und sie nicht als gegeben hinzunehmen.

„Die, die diese Taten begangen haben, sollen nicht denken, dass wir dieses Land verlassen werden“, sagt Elif Kubaşik, deren Mann, Mehmet Kubaşik 2006 in seinem Kiosk in Dortmund vom NSU hingerichtet wurde. Dieses Statement und die der Angehörigen aus Hanau zeugen von wachsendem Selbstbewusstsein bei Opfern rassistischer Gewalt. Das gibt uns Hoffnung und belegt eindrucksvoll, dass die Mörder ihr Ziel nicht erreichen werden. Denn Migration ist unumkehrbar – oder wie es Tausende auf den Demonstrationen in den Tagen nach Hanau rufen: „Yalla Yalla Migrantifa!“

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