berliner szenen
: Wenn die zweite Kasse aufmacht

Ich stehe an der vollen Kasse im Bioladen und bin genervt. Ich habe vier Sachen. Cornflakes, ein Päckchen Vanillezucker, sechs Eier und einen Kokos-Zartbitter-Riegel für den Nachhauseweg. Die Schlange ist lang und reicht bis vor das Chipsregal. Ich ignoriere die vielen Tüten angestrengt, reiße dafür schon mal meinen Riegel auf, beiße ab und sehe nach vorn. Direkt vor mir steht ein Jungunternehmer-Typ mit einem knallvollen Wagen. Vor ihm eine alte Dame mit rotem Mützchen, die ähnlich wenig Ware im Korb hat wie ich. Nur zwei Rüben und ein paar Kartoffeln. Der Typ vor mir tappt ungeduldig mit dem Fuß und schaut dabei auf ein gigantisches Handy. Er ist mir irgendwie unsympathisch.

„Kommen Sie bitte auch an Kasse 2“, ruft ein Mitarbeiter und das bringt die Schlange in Bewegung. Auch die alte Dame möchte zur zweiten Kasse, wird aber von mehreren Leuten überholt und von dem unsympathischen Typen fast noch mit einer aus dem Wagen ragenden Palette Apfelsaft gerammt.

Sie bleibt stehen. „Bitte“, sagt sie resigniert zu mir und will mir den Vortritt lassen.„Alles gut“, sage ich und halte den Schokoriegel hoch, „ich habe grad keine Eile.“ Sie wackelt mit dem Kopf, stellt sich vor mir an und sagt: „Ihr jungen Leute habt es doch immer eilig.“

„Manchmal schon“, gebe ich zu. Dann wendet sich die Frau mir zu und hält ihre Hand an die Seite ihres Mundes. Ich beuge mich etwas zu ihr herunter. „Mein verstorbener Mann hat immer gesagt, der wahre Charakter eines Menschen zeigt sich, wenn eine zweite Kasse aufgemacht wird.“ Sie zeigt auf den unsympathischen Typen. „Mehr muss man bei dem nicht wissen.“

Ich grinse. Sie auch. Dann dreht sie sich nach vorn. Mehr gibt es nicht zu sagen, wenn die Welt grad voll in Ordnung ist. Im Biomarkt an der zweiten Kasse.

Isobel Markus