„Ich möchte nicht zu einer Jukebox degradiert werden“

OHRWURM Jeder kennt „Come On Eileen“ von Dexys Midnight Runners – aber kaum jemand weiß, dass der Hit von Kevin Rowland geschrieben und gesungen wurde. Ein Gespräch über das Leid des Erfolgs, Drogenabstürze, Haareschneiden und ein großartiges neues Album

■ Der Mann: Kevin Rowland wird am 17. 8. 1953 in Wolverhampton geboren als Sohn irischer Immigranten. Seine Herkunft wird er immer wieder in seinen Songs verarbeiten.

■ Der Erfolg: 1978 gründet Rowland in Birmingham die Dexys Midnight Runners, die die Intensität des Punk mit Soul und später Irish Folk infizieren. Das Debüt „Searching for The Young Soul Rebels“ (1980) gilt heute als Meilenstein, mit dem darauf folgenden Album „Too-Rye-Ay“ (1982) und dem Hit „Come On Eileen“ wird Rowland zum Superstar, wähnt sich aber dauernd als künstlerischer Hochstapler und baut ständig Band, Image und Musik um.

■ Der Absturz: Das dritte Album „Don’t Stand Me Down“ (1985) floppt fürchterlich, auch ein Solo-Album hat kaum Erfolg. Rowland stürzt ab, setzt sein Vermögen in Drogen um, wird obdachlos. Ein Comeback-Versuch in Frauenkleidern und mit dem Album „My Beauty“ (1999) scheitert. Erst mit einer Reunion der Band, die nun nur noch Dexys heißt, und dem kürzlich erschienenen Album „One Day I’m Going To Soar“ (Buback) geht es nun wieder bergauf.

INTERVIEW THOMAS WINKLER

sonntaz: Mr. Rowland, wünschen Sie sich manchmal, Sie wären niemals Musiker geworden?

Kevin Rowland: Das fängt ja gut an. Die Frage hätte auch von meinem Vater stammen können.

Ist der noch am Leben?

Ja, der ist quicklebendig. Vor fünf, sechs Jahren hat er zu mir gesagt: Kevin, ich glaube, du wärst besser bei mir in der Baufirma geblieben.

Sie haben auf dem Bau gearbeitet?

Ja, für meinen Vater. Ich habe es gehasst.

Haben Sie nicht eigentlich Friseur gelernt?

Das war später. Ich habe sehr gern Haare geschnitten.

Wären Sie also besser Friseur geblieben?

Nein, als das mit Punkrock losging, haben die meisten Friseure die Entwicklung verschlafen. Draußen wurde gerade die Welt auf den Kopf gestellt, aber in dem Laden in Birmingham, in dem ich damals arbeitete, wollten die meisten Kunden weiter dieselben langweiligen Haarschnitte haben. Aber der Kunde ist König, also bin ich lieber Musiker geworden.

Sie sind Musiker geworden, weil Haareschneiden nicht kreativ genug ist?

Nicht deshalb, aber die Arbeit als Friseur war mein Sprungbrett in die Musik. Als ich aus der Schule kam, hielt ich meinen Traum, Musiker zu werden, nicht für realistisch. Ich hatte mich immer fürs Haareschneiden interessiert, aber in dem Milieu, aus dem ich stamme, war Friseur ein Beruf für Schwule. Ich musste erst fünf, sechs Jahre in verschiedenen Jobs arbeiten, die ich alle gehasst habe, und in Birmingham leben, wo mich niemand kannte, um mich zu trauen, Friseur zu werden. Als Friseur hatte ich dann erstmals in meinem Leben das Gefühl, ich würde etwas machen, was ich machen will, nicht bloß das, was von mir erwartet wird. Aber die Musik war immer meine erste Liebe.

Aber diese erste Liebe hat Sie nicht glücklich gemacht.

Nein, das hat sie nicht.

Klingt schrecklich.

Die Musik macht mich nicht glücklich. Sie macht mich aber auch nicht mehr allzu unglücklich. Jedenfalls nicht mehr so unglücklich, wie sie mich früher gemacht hat.

Warum haben Sie die Musik dann nicht aufgegeben?

Das konnte ich nicht, weil ich mich nicht für die Musik entschieden habe, sondern die Musik sich für mich entschieden hat. Ich war nicht wie andere, die es als Teenager cool finden, Popstar zu werden. Ich wusste schon als Sechsjähriger, dass ich Popsänger werden wollte.

Aber als Sie es dann waren, hat es Ihnen nicht gefallen.

Doch, anfangs hat es mir gefallen. Es gab immer wieder Momente, die ich genossen habe.

Welche?

Zu „Top of the Pops“ eingeladen zu werden, als „Geno“ Nummer eins in den britischen Charts wurde …

Der wichtigsten TV-Sendung für Popmusik in England.

Genau. Es war großartig, in dieses Fernsehstudio reinzumarschieren und zu denken: Ich könnte arbeitslos sein, ich könnte im Knast sitzen, aber stattdessen bin ich hier, in der wichtigsten Popmusiksendung des Landes, ich habe es geschafft, davon habe ich immer geträumt.

Wie lang hielt dieses Gefühl an?

Bis ich auf der Bühne stand und mir einfiel, dass mir jetzt gleich zehn Millionen Menschen zusehen. Ich dachte: Oh Scheiße, ich darf jetzt nichts falsch machen. Ich hatte Angst, die Erwartungen zu enttäuschen.

Sie hatten einen Nummer-eins-Hit, hatten Sie die Erwartungen nicht bereits übererfüllt?

So habe ich nicht gedacht. Als „Geno“ die Charts hinaufkletterte, fühlte sich das gut an – ein paar Tage lang.

Drei Jahre später hatten Sie mit „Come On Eileen“ einen noch größeren Hit …

Einen viel größeren Hit.

„Come On Eileen“ wurde weltweit Nummer eins, hat aber auch dafür gesorgt, dass viele Menschen Dexys Midnight Runners für ein One-Hit-Wonder halten.

Ja, ich weiß, aber ich finde das nicht schlimm. Ich weiß ja, dass ich noch ein paar andere Songs geschrieben habe, die ganz in Ordnung sind.

Wie ist Ihr Verhältnis zu „Come On Eileen“?

Ich mag den Song. Nicht nur, weil er heute meine Miete zahlt. Ich habe nur Probleme mit der Original-Version, die ist dreißig Jahre alt, die hat nichts mehr mit mir zu tun. Aber ich mag die Version von „Come On Eileen“, die wir heute auf der Bühne spielen. Die ist sieben Minuten lang und vollkommen anders als das Original. Damit kann ich leben. Aber natürlich ist es auch ein Zugeständnis: Die Leute wollen den Song hören, wenn sie zu uns kommen.

Angeblich sollen Sie „Come On Eileen“ zeitweise so gehasst haben, dass Sie den Song nicht mehr gespielt haben.

Ja, das hab ich auch gelesen. Aber wenn es jemals so war, dann kann ich mich nicht mehr daran erinnern. In meiner Erinnerung haben wir den Song immer gespielt.

Begegnet Ihnen der Song oft?

Ständig. Wenn ich zu Hochzeiten gehe, wird er gespielt, und wenn ich zu Beerdigungen gehe, wird er auch gespielt. Wenn ich in eine Kneipe gehe, dann findet sich garantiert jemand, der ihn in der Jukebox anwählt – und dann starren mich alle an. Schrecklich. Aber vor ein paar Jahren nahm mich meine damalige Freundin in Brighton mit zu einer Weihnachtsparty einer Arbeitskollegin. Wir waren kaum durch die Tür, da lief schon „Eileen“, aber nicht wegen mir. Niemand hatte mich erkannt. Kaum dass der Song anfing, stürzten sich alle auf die Tanzfläche, und ich konnte die Fliege an der Wand spielen. Das war eine interessante Erfahrung, Menschen dabei zuzusehen, wie sie verrückt spielen zu meiner Musik.

Waren Sie stolz?

Nicht stolz. Eher erfreut. Zufrieden. Ich kann doch nicht stolz auf etwas sein, das ich vor 30 Jahren getan habe. Ich hab schon Probleme damit, stolz zu sein auf das verdammte Album, das ich vor ein paar Monaten aufgenommen habe.

Nach dem großen Erfolg von „Come On Eileen“ haben Sie die Erwartungen des großen Publikums enttäuscht, mit „Don’t Stand Me Down“ ein vollkommen anders klingendes Album gemacht und auch den Look der Band radikal verändert. Haben Sie den Misserfolg provoziert?

Ich habe nicht darüber nachgedacht. Es kam mir nicht mal in den Sinn, noch einmal eine Platte im gleichen Stil zu machen. Aber als ich unserem Manager die Demoaufnahmen für „Don’t Stand Me Down“ vorspielte, sagte er: Du könntest alles verlieren. Aber ich habe in diesem Moment nur gedacht: Verlieren? Was denn? Das? Diesen Scheiß? Ja, ich hatte eine schicke Wohnung, teure Möbel. Aber ich mutierte zu Mr. Pop, ich hatte mich selbst längst verloren. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich hatte immer geglaubt, wenn ich erstmal bei „Top Of The Pops“ bin, dann kann mir keiner mehr blöd kommen, dann kann mir keiner mehr erzählen, ich sei ein Verlierer. Ich hatte die Vorstellung: Wenn ich erst einmal Erfolg hätte, wird alles einfacher. Aber als ich Erfolg hatte, wurde es noch viel komplizierter.

Inwiefern?

Ich war nicht auf den Erfolg vorbereitet. Darauf, dass Menschen neidisch wurden oder dass sie ein Stück vom Kuchen haben wollten. Selbst in der Band haben mich manche gefragt: Na, fühlst du dich jetzt wie ein Star? Ich habe mich nie auch nur annähernd wie ein Star gefühlt. Stattdessen hatte ich das Gefühl, ich hätte den Erfolg nicht verdient. Ich habe mich wertlos gefühlt, wie ein Hochstapler, der jeden Moment entlarvt wird. Ich dachte, jeder würde mich durchschauen und könnte meine Ängste sehen.

Eine Paranoia, die Sie nie verlassen hat?

Niemals. Ich habe mich nie wirklich daran gewöhnen können, auf einer Bühne zu stehen. Noch heute brauche ich mindestens vier, fünf Tage, bis ich mir die Aufzeichnung eines Auftritts überhaupt ansehen kann. Und dann sitze ich da und mache mir Notizen im Kopf: das ist falsch, das musst du anders machen, das war schlecht.

Aber trotzdem drängt es Sie immer wieder auf die Bühne.

Ja, weil ich es mir beweisen will. Und wenn man Glück hat, dann passiert sehr selten etwas Großartiges: Die Angst verschwindet und alles scheint perfekt. Ich kann nichts falsch machen, denn die Musik fließt durch mich hindurch, ohne eigenes Zutun, wie in einem Zustand der Gnade. Und in meinem Kopf herrscht plötzlich Ruhe, ich bin mit mir selbst und der Welt absolut im Reinen. Dieses Gefühl ist besser als alle Drogen. Ich wünschte, ich könnte es in Flaschen abfüllen.

Wie lang hält das an?

Manchmal, wenn ich Glück habe, immerhin 24 Stunden.

Was sagt Ihr Therapeut dazu?

Er hat gesagt, ich sei manisch-depressiv. Nur eine milde Form, aber ich habe meine Höhen und Tiefen.

Ihr Talent ist also eher Fluch als Segen?

Es ist beides. Nein, ich sollte das nicht sagen, ich will nicht undankbar klingen. Ich habe auch nicht das Gefühl, ich hätte meinem Leben eine andere Richtung geben können. Mir wurde eine Gabe gegeben, die mir nicht immer Glück gebracht hat. Aber ohne Musik kann ich auch nicht leben. In den Jahren, in denen ich keine Musik machen konnte, wäre ich am liebsten gestorben.

Das waren die Neunzigerjahre, in denen Sie kokainsüchtig und zeitweise obdachlos waren.

Das mit dem Kokain stimmt, aber ich habe nie auf der Straße gelebt. Ich hatte keine eigene Wohnung mehr und ich war pleite, aber ich habe immer etwas gefunden, wo ich übernachten konnte.

1999 tauchten Sie aus der Versenkung auf, doch das Album „My Beauty“ wurde ein großer Flop.

Ja, aber kein so großer, wie kolportiert wird. Es gibt Gerüchte, das Album hätte nur 500 Stück verkauft. Tatsächlich wurde es weltweit 20.000 Mal verkauft. Das ist nicht toll, aber auch nicht so schlecht.

Schuld gegeben wurde auch dem Bild auf dem Cover, auf dem Sie ein schulterfreies Abendkleid tragen. Was haben Sie damit ausdrücken wollen?

Nichts. Das Kleid gefiel mir. Ich fand, ich sah gut darin aus.

Viele dachten das nicht. Beim Festival in Reading hat das Publikum Sie mit Bierflaschen von der Bühne getrieben.

Das stimmt so nicht ganz. Über diesen Auftritt gibt es so viele Gerüchte. Zuerst einmal: Wir wurden nicht von der Bühne getrieben. Wir wollten von vornherein nur drei Songs spielen – und die haben wir auch gespielt. Ja, es sind ein paar Flaschen geflogen, aber vor allem aus Plastik, kein Glas. Ich habe mit dem Publikum gesprochen, und dann hörte das weitgehend auf. Als wir von der Bühne gingen, gab es Applaus – wir verließen die Bühne mit einem guten Gefühl. Danach hat sich die Geschichte verselbstständigt.

Trotzdem hat das Kleid unerwartet heftige Reaktionen hervorgerufen.

Ich hatte erwartet, dass sich ein paar Leute aufregen würden. Aber dass ein Mann in einem Kleid solch einen Hass auslösen würde, das hat mich vollkommen überrascht.

Das Album mit dem Kleid soll auch schuld daran sein, dass sich wenige Monate später Creation, das Label von Oasis, in die Pleite verabschiedete.

Ach, das ist noch so eine Legende. Ich habe mich immer gefragt, wie diese verrückte Story entstehen konnte. Wie sollte eine einzige Platte wie meine ein millionenschweres Label wie Creation zugrunde richten. Eine Platte, die nicht mal teuer war, die gerade mal 200.000 Pfund gekostet hat, das ist doch alles Bullshit.

Es war nicht Ihr einziger radikaler Stilwechsel: Sie haben für jedes Album sich und Ihrer Band einen neuen Look verpasst. Warum?

Man muss halt was anziehen.

Aber müssen es unbedingt Latzhosen sein wie zu „Come On Eileen“-Zeiten? Jetzt, anlässlich der neuen Platte „One Day I’m Going To Soar“, sehen Sie aus wie aus den Dreißigerjahren entsprungen.

Ich habe Klamotten immer geliebt, aber fragen Sie mich nicht, warum. Doch wenn ich auf mein Leben zurückblicke: Am glücklichsten war ich immer, wenn ich einen Look hatte, mit dem ich zufrieden war. Ich habe eine Weile fälschlicherweise gedacht, der richtige Look würde mich glücklich machen. Heute glaube ich, dass man, indem man Wert auf sein Äußeres legt, Selbstachtung zeigt.

Im Soul gibt es eine lange Tradition des Leidens, das sich in Kunst verwandelt. Billie Holiday ist das vielleicht bekannteste Beispiel. Muss man gelitten haben, um wirklich großartige Musik machen zu können?

Ja, ich habe gelitten, aber das ist ein Gedanke, den ich seit Jahrzehnten aus meinem Kopf zu verbannen versuche. Denn Musik ist etwas so Reines, Wahrhaftiges, dass sie nicht schuld sein kann an meinem Leid. Aber vielleicht hatte ich in der Vergangenheit tatsächlich Angst davor, glücklich zu sein, weil ich befürchtete, dass meine Musik dann belanglos werden könnte. Aber in letzter Zeit glaube ich eher, dass die Musik gar nicht aus mir selbst herauskommt, sondern von irgendwo anders.

Woher?

Musik scheint mir etwas Göttliches zu sein, das über mich kommt. Die besten Ideen hatte ich immer kurz vor dem Einschlafen, Textzeilen oder die Melodie für einen Refrain. Mein Job ist es nur noch, die Punkte miteinander zu verbinden, damit ein Bild entsteht.

Sind Sie religiös?

Ich würde mich spirituell nennen. Anders würde das Leben keinen Sinn machen.

Hat Ihnen diese Spiritualität geholfen, Ihre Drogensucht zu überwinden?

Da waren eher die 18 Jahre Therapie sehr hilfreich.

Seitdem haben Sie keine Versagensängste mehr?

Das hört nicht auf: Heute noch plagt mich vor Auftritten die Angst, ich könnte meine Stimme verlieren. Vor Aufnahme-Sessions leide ich wie ein Hund, meine Angst vor dem Scheitern ist kaum auszuhalten. Aber ich glaube auch daran, dass es eine Möglichkeit gibt, Musik zu machen, ohne so zu leiden. Es muss einfachere Methoden geben, Musik zu machen. Und es ist zumindest ein bisschen besser geworden. Es tut mir vor allem gut, wieder in einer Band zu sein. Ich frage die anderen nach ihrer Meinung. Schlussendlich entscheide ich selbst, aber früher habe ich mich erst gar nicht für die Meinung anderer interessiert. Mein Ego war riesig. Heute besitze ich mehr Demut. Ich bin immer noch nicht perfekt, aber ich habe mich geändert.

Wie ist Ihnen das gelungen?

Aus purer Notwendigkeit. Ich musste lernen, mich zu öffnen für andere. Allein kann ich einen ganzen Tag damit zubringen, an der Frage zu verzweifeln, ob der Klang dieser einen Trommel jetzt korrekt ist oder doch anders klingen sollte. Dann geht es mir wie einem Mathematiker, der an einer unlösbaren Aufgabe mit zu vielen Unbekannten herumtüftelt und nicht weiterkommt. Aber wenn die Musik zu Mathematik wird, dann wird sie öde. Ich musste also lernen, mit anderen zusammenzuarbeiten, Ideen von anderen anzunehmen.

Das neue Dexys-Album ist gerade mal Ihr sechstes in mehr als dreißig Jahren. Wenn Sie so zurückschauen, ärgern Sie sich, wie viel Musik der Welt durch Ihre Probleme verloren gegangen ist?

Früher habe ich mich geärgert. Ich habe zuhause vor meinen Demobändern gegessen und mit gewünscht, ich hätte mehr Platten herausgebracht. Aber das ergibt keinen Sinn. Was nützt es, sich darüber zu ärgern, was man in der Vergangenheit verpasst hat? Ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Die alten Zeiten sind vorbei.

Die alten Zeiten sind es, die Ihre Fans faszinieren. Haben Sie Angst, dass Dexys zu einer sentimentalen Nostalgie-Veranstaltung werden könnten, wie sie viele Ihrer alten Kollegen aus den Achtzigern bereits aufführen?

Unsere Zielgruppe sind nicht die Menschen, die vor 30 Jahren „Come On Eileen“ gekauft haben. Wenn wir denen geben würden, was sie wollen, könnten wir sehr viel mehr Geld verdienen. Aber lieber würde ich mir die Pulsadern aufschneiden. Wir achten sehr darauf, dass nirgendwo angekündigt wird, wir würden unsere alten Hits spielen. Bei den bisherigen Auftritten haben wir zuerst das neue Album von vorne bis hinten komplett gespielt – und es hat funktioniert, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Dann haben wir mit ungefähr sechs alten Songs aufgehört, aber außer „Eileen“ keine unserer Singles gespielt. Wir geben den Leuten keine Greatest-Hits-Show.

Ist es nicht verlockend, dass immer noch grassierende Eighties-Revival auszunutzen?

Es war verlockend. Als ich pleite war, war es extrem verlockend. Aber dann habe ich mir eine dieser Retro-Veranstaltungen angesehen …

Wer ist da aufgetreten?

Ich werde keine Namen nennen, aber es war die „Here and Now“-Show. Kennen Sie die in Deutschland?

Die waren 2009 mal hier unterwegs. In England treten dort unter dem Slogan „The Very Best of the 80’s“ Ihre Altersgenossen Boy George, Heaven 17, ABC oder Kim Wilde auf.

Das war vielleicht deprimierend. Vor allem das Publikum war schrecklich. Ich möchte nicht zu einer Jukebox degradiert werden. Wer die alten Songs hören will, der soll nach Hause gehen und die alten Platten auflegen. Aber ich sollte nicht mit Steinen werfen, ich sitze selber im Glashaus.

Ach so?

Ja, vor ungefähr zehn Jahren hat mich eine deutsche Fernseh-Show eingeladen. Weil ich total abgebrannt war und dachte, hier kennt mich ja eh keiner, habe ich zu „Come On Eileen“ die Lippen bewegt. Dann habe ich die 1000 Pfund kassiert und bin wieder nach Hause geflogen. Aber ich habe mich nicht gut gefühlt damit. Vielleicht ist es besser, als wieder auf dem Bau arbeiten zu müssen, aber ich könnte so nicht leben. Deshalb war auch wichtig, dass wir ein neues Album aufgenommen haben. Um zu zeigen, dass wir uns nicht auf den alten Hits ausruhen.

Sind Sie glücklich mit dem neuen Album?

Nicht glücklich, aber zufrieden. Ich kann es mir anhören. Ich denke, es ist okay. Doch, wirklich, es ist gut geworden. Ich bin glücklich mit der Platte. Alles, was jetzt noch passiert, ist ein Bonus. Manchmal wünsche ich mir, das Album würde im Radio gespielt, viele Menschen würden es hören. Aber dann macht mir genau dieser Gedanke wieder Angst.

Sie haben Angst davor, wieder ein Popstar zu werden?

Nicht wirklich. Aber nur, weil ich weiß, dass es nicht passieren wird. Ich bin jetzt 58 Jahre alt, die Gefahr, noch einmal ein Popstar zu werden, ist wohl minimal.

Thomas Winkler ist taz-Autor und 47 Jahre alt. Manchmal hört er ganz gerne alte Platten aus den Achtzigern