Reeder machen Wind

Irrsinnige Bürokratie beklagen die Betreiber der Nordsee-Fährlinien: Sie müssten Sicherheitsauflagen erfüllen, als seien sie auf hoher See unterwegs. Das Verkehrsministerium weist die Vorwürfe zurück

von Esther Geißlinger

Wellen gischten, Möwen kreischen – so schön kann Bus fahren sein. Denn etwas anderes als Busse sind die Küstenschiffe eigentlich nicht, die täglich zwischen dem Festland, den Inseln und Halligen der Nordsee verkehren. So zumindest sehen es die Reeder, die diese Schiffe in die Fahrrinnen schicken.

Die Richtlinien sagen etwas anderes: Danach gelten auf den Wasserstraßen im Watt alle Regeln, die eben auf hoher See anzuwenden sind. Und das koste Geld und erschwere die Arbeit, beklagten sich mehrere Reeder jüngst beim Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU). Axel Meynköhn, Geschäftsführer der Wyker Dampfschiff Reederei, nennt ein Beispiel: Ein Schiff war auf eine Sandbank gelaufen und kam erst mit der Flut wieder frei. Jetzt liegt es still, bis ein Sachverständiger es untersucht und freigegeben hat. Unsinnig, findet der Reeder: „Das ist vielleicht sinnvoll für Ozeanriesen, die eine Grundberührung hatten – aber nicht für die Nordsee.“ Denn in den flachen Gewässern sei es fast normal, dass ein Schiff auf eine Sandbank läuft. Andere Richtlinien seien ähnlich blödsinnig: 150 Schwimmwesten und Plätze in Rettungsbooten für 100 Passagiere sind vorgeschrieben. „Dabei sind die Schiffe selten voll ausgelastet“, sagt Sven Paulsen von der Adler-Reederei. Übertrieben sei auch die medizinische Ausstattung, die jedes Schiff vorhalten müsse: „An Bord der Adler-Express können wir ein Bein wieder annähen.“

Carstensen, ganz auf der Seite seiner Landeskinder, gibt sich empört: Er selbst brauche nur einmal gerettet werden, sagt er, und verspricht, sich zu kümmern. Das wird schwierig. Denn viele der Richtlinien sind eine Antwort auf schwere Unglücke auf hoher See: „Die Regelung, dass ein Schiff nach Grundberührung untersucht werden muss, ist weltweiter Standard“, sagt Michael Zirpel, Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. „Die Besatzung kann manchmal gar nicht feststellen, ob es nicht doch kleine Risse gegeben hat.“ Das ist auf dem weichen Wattboden höchst unwahrscheinlich – aber immerhin geht es „um die mögliche Abwehr von Folgeschäden für Mensch und Umwelt“. Der Gutachter garantiert, dass ein Kahn nicht jahrelang mit einem Leck durchs Watt schippert, unbemerkt vom Kapitän, aber zum Schaden der Wattwürmer.

Tatsächlich, sagt Zirpel, sei das deutsche Recht sogar in einigen Punkten lockerer als die EU-Verordnungen: „Wir weichen von den Richtlinien ab.“ Das betrifft die Zonen, ab denen ein Schiff nach Hochsee-Gesetzen behandelt wird – geschuldet der Tatsache, dass die deutsche See eben oft nicht hoch, sondern bei Ebbe verdammt flach ist: „Der Sechs-Meilen-Bereich ist ausgenommen, und für mehrere Schiffsklassen gilt in der 20-Meilen-Zone eine vereinfachte Form. Damit sind wir den Reedern weit entgegengekommen.“

In noch einem anderen Punkt korrigiert er den Reeder Axel Meynköhn. Der hatte sich beklagt, dass die Deutschen das EU-Recht überbieten und statt 110 Prozent Rettungsmittel 150 fordern würden: „Das stimmt nicht“, sagt Zirpel. „150 Prozent Sicherheitsausstattung ist EU-weit vorgeschrieben, und kein Land hat etwas anderes beantragt. Es gab nur Anträge einzelner Reeder, aus rein kommerziellen Gründen – sie sind abgelehnt worden.“ Denn die Macher der Richtlinien gehen stets vom Schlimmstmöglichen aus: Zum Beispiel von einer Schulklasse, die sich an Bord geschlichen hat und im Notfall auch gerettet werden müsste. Zirpel interpretiert den Vorstoß der Reeder beim Ministerpräsidenten denn auch ganz einfach: „Die wollten ein bisschen Wind machen.“