Hinter die Häkelgardine schauen

Die Galerie Nord liegt für den ausstellungsaffinen Kunst-Mitte-Schmock etwas im Abseits. Und damit für Studenten aus Berlin und Potsdam genau richtig, um danach zu forschen, was eigentlich städtische Hygiene und den Geruch von Suburbia ausmacht

VON JÖRG SUNDERMEIER

Schon der Ausstellungstitel bringt Vorahnungen: Wird man in „albTräume städtischer Hygiene: suburbia. Sexarbeit. Geruch“ wieder mit dem hippen Theoriescheiß beballert, der irgendwo zwischen schrumpfenden Städten, Anerkennung der Sexarbeit als Job und Wortspielerei einen Aktionsraum für die Linke behauptet? Der Ort dagegen, an dem Studentinnen und Studenten von fünf Hochschulen aus Berlin und Potsdam zusammen am Werk waren, beruhigt wiederum – die Galerie Nord in Mitte liegt in Moabit an der Turmstraße und macht seit einigen Monaten an dieser ungewöhnlichen Stelle auf sich aufmerksam. Denn der Weg dorthin ist für den ausstellungsaffinen Mitte-Schmock oder die an eine hübsch geordnete Kiezschmuddeligkeit gewohnte Friedrichshainerin nicht eben leicht passierbar.

Dieser Teil von Moabit ist nicht schön, die Bücher werden hier nur von Wohlthat’s verkauft, die Socken von Woolworth, die Toaster von Ramschläden, und ein elektronisches Blinklicht und eine Porzellanfigur aus Plastik muss an einem solchen Ort als Luxus gelten. Auf dem Weg zur Galerie muss ich an einer Bettlerin vorbei, die Geld auf einem zerfetzten und dreckigen Tempotaschentuch hingelegt wissen will, ihr Blick ist kaum noch traurig, eher seelentot. An dieser Stelle über städtische Hygiene reden zu wollen, bedeutet etwas anderes, als es sich im Seminarraum in Dahlem mit Diskursen über Urbanität gemütlich zu machen.

Sexarbeit und die gängigen Vorurteile darüber thematisiert in der Galerie ein Zeichentrickfilm. Geruchsboxen riechen vor sich hin, eine Arbeit zur Siedlungsplanung bringt Interviews mit Leuten, die „raus“gezogen sind. Das alles ist amüsant, wenn auch nicht eben überraschend. An einer Wand kleben wie auch auf einigen Galeriefenstern hochkopierte Texte und laden zu Assoziationen ein. Man kann die Worte und Wörter mit bereitgelegten Stiften kommentieren. In einem Video sieht man einen Imitator des Sängers Sido-mit-der-Maske in einer blitzsauberen Vorstadtsiedlung rummachen, in einem anderen entern Cowboys eine ähnliche Siedlung und sorgen für Irritation – sie sind die einzigen Menschen, die man überhaupt sieht.

In der Mitte des Hauptraumes kann man sich an einem Tisch in die nötige Theorie zur Ausstellung vertiefen, Bücher lesen oder die Zeitschrift der SexarbeiterInnen-Organisation Hydra e.V. An der Turmstraße die Speckgürtelarchitektur zu kommentieren, vor allem aber zu kritisieren, ist schon deshalb denkwürdig, weil es ein klassisch bürgerlicher Impuls ist, sich angesichts des sozialen Elends und des Mülls, der in diesem Kiez sichtbar wird, nach genau jener spießigen „Sauberkeit“ zu sehnen, den die Vorstädte versprechen. Doch gerade diese Sehnsucht nach Behaglichkeit und Ruhe wird aufs Schönste entzaubert. Denn wenn der „falsche“ Sido vor Häkelgardinchen und Gardena-Garten-Träumen von seinen Dealerkumpels spricht, redet er genau über das, was sich die Vorstadtkinder unter dem Abenteuer der Großstadt erträumen. Denn im Grunde sind sie sich sehr ähnlich, die Vorstellungen vom anderen Leben.

Dank dieser Brechung und vermittels der Veranstaltungen, die hier in den nächsten Tagen stattfinden werden, wird so in der Galerie, die ja ein bürgerliches Bedürfnis befriedigt, genau dieses Bedürfnis nach Abgrenzung kritisiert, das in die Vorstadtsiedlungen führt. Die falsche Hygiene und ihr Urgrund werden sichbar und das ist gut.

albTräume städtischer Hygiene: suburbia. Sexarbeit. Geruch. Galerie Nord, Di–Fr 14–19 Uhr, Turmstraße 75