strafplanet erde: schmalfilmdämmerung von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Vorgestern habe ich erfahren, dass Kodak die Produktion des klassischen Schmalfilms Kodachrome 40 einstellt, stieg daraufhin in den Keller hinab und stöberte die Apfelsinenkiste auf, in der meine Super-8-Lichtspiele eingedost der Ewigkeit entgegendämmern.

Film ab: Gemächlich ziehn die Wolken zwischen Hochhaus und Sonne dahin, nehmen unversehens Fahrt auf, beschleunigen bis zur Raserei, die einer Drohgebärde gleicht. Nach einigen Sekunden entdecken sie die Langsamkeit wieder, wirken geruhsam und ausgeglichen, der nahende Stillstand flackert ein bisschen ins Unheimliche, schließlich finden sie zum ursprünglichen Tempo zurück. Schnitt.

Das ausbalancierte Himmelsporträt von exorbitanter Brillanz gesättigter Farben ist aus dem vierten oder fünften Film, den ich gedreht habe. Multitalentesk war ich Regisseur, Kameramann und Cutter in einem. Die Wolken wurden per Einzelbildschaltung auf Trab gebracht, gebremst wurden die Wolken mit der Zeitlupenfunktion.

Ob etwas Magisches oder an Magie Grenzendes oder entfernt an Magie Erinnerndes daraus entstehen würde oder vielmehr Schrott? Eine Geduldsprobe. Zunächst musste nämlich die Filmkassette in dem mitgelieferten gelben Umschlag verschickt werden. Im Labor tauchten die 15 Meter in 14 verschiedenen Bädern unter, Wochen später kehrten sie auf einer Spule zurück. Vom Schnitt, dem feuchten Kleben, das übrigens manchmal albtraumhaft mühsam war, ein andermal.

Zwei Jahre nach der Premiere meines Films kam Coppolas „Rumble Fish“ ins Kino, „Rumpelfisch“, wie ihn ein befreundeter Cineast, verliebt in die Hauptdarstellerin Diane Lane, mit größtem Respekt nannte. Coppola ließ Wolkenfelder über die Leinwand rasen, dass es eine Art hatte. Plagiat meiner Bildidee.

Zurück auf Anfang und Korrektur. Den Titel meines Films und was um die Himmel-über-Hochhaus-Szene herum leuchtete, weiß ich nicht mehr. Und auch wie das Publikum im Untergeschoss des Gemeindehauses, wo die Uraufführung stattfand, auf diese an Eindringlichkeit kaum zu überbietende Sequenz reagierte, hat eine Gedächtnisfinsternis verschluckt. Nichts Greifbares, nichts Sichtbares ist geblieben, mein Gesamtwerk auf Super 8 ist verschollen. Eines Nachts brachen Halunken die Kellertür auf und stahlen die Kiste mitsamt dem Projektors, der Kamera und allerlei Zubehör.

Der Filmgeschichte und der Gnadenlosigkeit der Kritiker entronnen sind Meisterwerke wie „Der Bildermensch“, der Erotikthriller „Bis an die Grenze“, meine „Lenz“-Verfilmung nach Büchner und auch „Strafplanet Erde“, ein SciFi-Dokudrama, das Elemente einer Seifenoper mit denen einer romantischen Komödienfarce und eines behutsamen Splatter-Slapsticks verband. Sie sind dahin, enfin perdu. Manchmal aber gelingt es der Imagination, einige Bilder vorm inneren Auge zu projizieren. Vielleicht weil Zelluloidfilme, wenn alles gut geht, lebende, lebendige Bilder sind, Digitalfilme aber das Ergebnis von Rechenoperationen, bestehend aus Ja-Nein-Werten. Das möchte – ganz unnostalgisch – auch mal gesagt werden. Kurz vor dem „Ende“.