Duell mit falschen Fronten

Weil Angela Merkel schon als Amtsinhaberin gesehen wird, will sie Außenseiter Gerhard Schröder nicht mit einem Schaukampf aufwerten. Richtig so! Verdient hat das nur einer: Oskar Lafontaine

VON RALPH BOLLMANN

Während der scheinbar immerwährenden Regierungszeit des Kanzlers Helmut Kohl waren die Rollen klar verteilt. Wechselnde SPD-Kandidaten forderten den fülligen Pfälzer vor jeder Bundestagswahl dazu auf, er möge sich einem Rededuell vor laufenden Fernsehkameras stellen. Ebenso regelmäßig lehnte Kohl das Ansinnen ab. Es gehe nicht um eine „Personality-Show“, beschied er zuletzt Gerhard Schröder 1998, sondern um einen sachlichen Wettstreit zwischen der „Koalition der Mitte und einem gefährlichen Linksbündnis“.

Wie Kohl hält es die Spezies der Amtsinhaber meistens, nicht nur in Deutschland. Sie lehnt ein Duell auf Augenhöhe normalerweise ab, weil es den politischen Gegner nur aufwerten würde; der Herausforderer dagegen fordert aus eben diesem Grund so viele TV-Runden wie möglich. Diesmal ist es anders. Und das nicht nur, weil sich Schröder im Umgang mit Fernsehkameras gewandter wähnt als Angela Merkel.

Nein, die verkehrten Fronten beim Kampf um das TV-Duell spiegeln nur die verkehrten Fronten des gesamten Wahlkampfs. Seit Schröder am 22. Mai die Neuwahlen ausrief, gilt Merkel als sichere Siegerin und damit schon jetzt als Amtsinhaberin. Schröder dagegen muss, nachdem er alles hingeworfen hat, mit der Rolle des Herausforderers vorlieb nehmen. Eines Herausforderers noch dazu, der bestenfalls die Chancen eines Außenseiters hat.

Diese Anordnung verleiht den TV-Auftritten Schröders eine überaus bizarre Note. Gewiss: Schröder ist in dieser Rolle gut, am vorigen Wochenende war er bei „Christiansen“ sogar besser denn je. Auch im Duell mit Merkel wird er brillieren. Das Problem ist nur: Das Publikum weiß zwischen Darstellungs- und Regierungskunst sehr wohl zu unterscheiden.

Was es an Schröders Auftritten bewundert, ist einzig die Kunst der Selbstdarstellung. Auch Kohl war bei seinem letzten Wahlkampf 1998 in diesem Metier besser denn je. Zu höchster Perfektion gelangte seine Fähigkeit, ähnlich wie jetzt Schröder die Wirklichkeit „draußen im Lande“ auszublenden und sich mit höchster Souveränität in seiner eigenen Realität zu bewegen. Es half nichts, schlimmer noch, es bestärkte die Zuschauer in ihrem Eindruck, hier werde bloß noch an einem Monument für die Geschichtsbücher gebastelt.

Für Merkel sind mögliche TV-Duelle dagegen höchst riskant, denn als gefühlte Amtsinhaberin kann sie sich nicht in die unverbindliche Ästhetik medialer Auftritte flüchten. Weil sie schon in der politischen Verantwortung gesehen wird, muss sie sich auf konkretes Regierungshandeln festnageln lassen. Während Schröder lustvoll gegen die höhere Mehrwertsteuer wettern kann, muss Merkel die geplanten Mehrbelastungen verteidigen.

Bizarr ist an Schröders Wunsch nach möglichst viel Duellen aber nicht nur die zur Schau getragene Siegeszuversicht, sondern auch die Behauptung, es gehe dabei wirklich noch um einen Zweikampf. Auch wenn Kohl 1998 kaum noch Chance hatte, so stimmte doch zumindest seine Behauptung, es gehe um einen Wettstreit zweier großer Lager. Das ist heute nicht der Fall. Union und FDP wollen die Schröder’sche Reformpolitik der letzten zwei Jahre fortsetzen, allerdings mit größerer Radikalität. Die Linkspartei will diese Politik zurückdrehen. Schröders SPD steht dazwischen und rudert halbherzig zurück.

Ein solcher Kurs der Mitte mag sachlich sogar richtig sein, doch taugt er nicht zur Konstruktion eines vermeintlichen Duells. Zwar klammern sich die SPD-Strategen verzweifelt an ihre Lagerstrategie des „Alles oder nichts“, wie es der Saarländer Heiko Maas erst in dieser Woche formulierte: entweder eine Neuauflage von Rot-Grün – oder der aufrechte Gang in die Opposition.

In der Mittelposition, die der SPD im Parteienspektrum derzeit zukommt, gibt es diese Alternativen aber gar nicht. Das entsprechende Wahlergebnis vorausgesetzt, wird die Partei zwischen weit weniger komfortablen Möglichkeiten wählen müssen: Entweder reibt sie sich in einer Koalition mit der Union auf – oder in einem Bündnis mit der Linkspartei unter Einschluss der Grünen. Im Parteiensystem hätte sie wie einst die FDP zwischen den beiden Flügelparteien zu entscheiden.

Eine so genanntes „Duell“ zwischen Merkel und Schröder muss deshalb wirken, als hätten in den Zeiten der alten Bundesrepublik Walter Scheel oder Hans-Dietrich Genscher abwechselnd mit Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl diskutiert. Mal abgesehen davon, dass die beiden FDP-Granden nicht die gleiche mediale Durchschlagskraft entfalteten wie heute Gerhard Schröder: Solche Runden können unterhaltsam sein, aber die politischen Alternativen können sie nicht wirklich entfalten. Nicht ohne Grund hat das TV-Duell dort die längste Tradition, wo die Konfrontation am klarsten ist: zwischen den beiden Präsidentschaftsbewerbern in den USA.

Im verqueren Wahlkampf 2005 gibt es eigentlich nur eine Konstellation, die den Namen „Duell“ wirklich verdiente: Ein Aufeinandertreffen der beiden wahren Kontrahenten Angela Merkel und Oskar Lafontaine. Mit einem solchen Vorschlag könnte sich Merkel zweifelsohne wieder in die Offensive bringen.