Genossen werden zu Bossen

Mexikanische Arbeiter haben sich selbstständig gemacht und produzieren Reifen. Das Kapital stammt zu großen Teilen vom Ex-Eigentümer – von Continental. Der Reifen-Multi wollte den Betrieb schließen, gab aber nach drei Jahren Arbeitskampf auf

aus Mexiko-Stadt WOLF-DIETER VOGEL

Ein seltenes Experiment: Der Reifen-Multi Continental hat sich aus einer Firma nahe der mexikanischen Industriestadt Guadalajara zurückgezogen – und nun betreiben die Arbeiter das Unternehmen in Eigenregie. Sie tragen also nichts mehr zu den Gewinnen bei, die Continental gestern bekannt geben konnte (siehe Kasten).

Vorausgegangen war ein dreijähriger Arbeitskampf, denn ursprünglich hatte Continental das Reifernwerk Euzkadi ganz schließen wollen. Doch schließlich ließ sich der Hannoveraner Konzern auf einen ungewöhnlichen Kompromiss ein. Als Entschädigung für die ausstehenden Löhne übertrug der deutsche Reifenhersteller die Hälfte des Betriebes einer Genossenschaft der Arbeiter. Die andere Hälfte kaufte das mexikanische Unternehmen Llanti-Systems. Continental verpflichtete sich zudem, in den ersten Monaten technische Hilfe zu leisten und Rohstoffe zum Produktionspreis zu liefern. Die mexikanische Regierung verzichtete indes auf Steuern und half mit einer Finanzspritze von 50 Millionen Peso (etwa 4,3 Millionen Euro).

Unter diesen Voraussetzungen hat die „Kooperative des Westens“ nun ihre Produktion aufgenommen. „550 der 604 am Kampf beteiligten Beschäftigen arbeiten jetzt wieder im Betrieb“, sagte Unternehmenssprecher Torres Nuño der taz. Manche seien in die USA gegangen, um Geld zu verdienen. Für sie war die Arbeitslosigkeit einfach nicht mehr tragbar. Nicht jeder konnte all die Jahre von Angehörigen miternährt werden.

Continental hatte das Euzkadi-Werk im Jahr 1998 gekauft und wollte dann geltende Tarifregelungen aushebeln. Die Arbeitszeit sollte von 8 auf 12 Stunden erhöht, Gewerkschaftsführer sollten entlassen werden. Als sich die Beschäftigen wehrten, machte das Unternehmen im Dezember 2001 den Betrieb dicht und entließ die 1.164 Arbeiter. Ein Teil der Entlassenen akzeptierte Entschädigungszahlungen, etwa die Hälfte kämpfte in der unabhängigen Betriebsgewerkschaft SNRTE für die Wiedereröffnung.

Immer wieder reisten Delegationen nach Deutschland, sprachen mit Politikern, Gewerkschaftern, Continental-Vertretern und auf Aktionärsversammlungen des Konzerns. Mehrere mexikanische Gerichte gaben den Euzkadi-Arbeitern Recht, der Reifenmulti aber legte regelmäßig Widerspruch ein. Trotzdem geriet das Unternehmen unter Druck: In Deutschland erschienen kritische Presseberichte, in Mexiko befand das höchste zuständige Gericht den Arbeitskampf für rechtens. Die Hannoveraner wurden verpflichtet, 27 Millionen Euro Lohnrückstände auszuzahlen.

Continental musste also verhandeln. Für Torres Nuño hat das Kooperationsprojekt Modellcharakter: „In Mexiko sind viele Unternehmen von der Schließung bedroht.“ Die Einigung hatte aber auch andere Konsequenzen. Die SNRTE galt als symbolisch wichtige Kraft, um die Abschaffung eines arbeitsrechtlichen „Vertragsgesetzes“ zu verhindern. Die Regierung unter Vincente Fox will dieses Gesetz streichen, das bisher eine Ausweitung der Rechte transnationaler Konzerne in Mexiko verhindert. Von der Gewerkschaft zum Unternehmer konvertiert, hat die SNRTE diese oppositionelle Rolle aufgegeben. „Das war der Preis“, räumt SNRTE-Berater Enrique Gómez ein.

Der Vorschlag, dass Llanti-Systems den gesamten Betrieb aufkauft und die SNRTE als Gewerkschaft erhalten bliebe, stieß beim neuen Geschäftspartner auf Ablehnung: „Als Geschäftspartner wollen wir sie gerne, aber nicht als Gewerkschafter“, hieß es bei Llanti-Systems.