Prager Trickserei mit dem Lissabon-Vertrag

TSCHECHIEN Verfassungsklagen sollen die Ratifizierung des EU-Reformvertrags hinauszögern – bis zu den Neuwahlen in Großbritannien. Das Spiel auf Zeit könnte Staatschef Klaus selbst eine Klage einbringen

VON CHRISTIAN RATH

BERLIN taz | Die nächste Hürde für den Lissabon-Vertrag steht in Tschechien. Präsident Václav Klaus will den Vertrag erst unterschreiben, wenn alle juristischen Zweifelsfragen geklärt sind. Doch wie lange wird das dauern, fragt man sich in den anderen EU-Staaten. Am Dienstag hat das tschechische Verfassungsgericht immerhin eine von zwei anhängigen Verfassungsklagen abgelehnt.

Längst hat das Prager Parlament den EU-Reformvertrag ratifiziert, aber an der Staatsspitze spielt der EU-Skeptiker Václav Klaus auf Zeit. Und das könnte gefährlich werden. Ende Mai oder Anfang Juni 2010 wird in Großbritannien gewählt. Und wenn die Konservativen gewinnen, wovon derzeit auszugehen ist, wollen sie die bereits erfolgte britische Zustimmung zum Lissabon-Vertrag außer Kraft setzen und ein nachträgliches Referendum ansetzen.

Das hat der britische Oppositionsführer David Cameron im August in einem Brief an Klaus angekündigt. Viele Beobachter sahen darin eine Aufforderung, die Ratifizierung in Tschechien so lange wie möglich hinauszuzögern.

Hierzu passt, dass 17 konservative tschechische Senatoren, die Präsident Klaus nahestehen, zwei neue Verfassungsklagen eingereicht haben. Bereits am 1. September klagten die Senatoren um Jiří Oberfalzer (ODS) gegen das tschechische Begleitgesetz. Sie wollten erreichen, dass bei jeder – auch informellen – Souveränitätsübertragung eine Dreifünftelmehrheit im tschechischen Parlament zustimmen muss. Diese Klage galt nicht als völlig aussichtslos. Sie wurde aber am Dienstag vom tschechischen Verfassungsgericht in Brno (Brünn) als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.

Anhängig ist jetzt noch eine zweite Klage, die von den 17 Senatoren erst am 29. September eingereicht worden war. Sie richtet sich direkt gegen den Lissabon-Vertrag und wirkt wie ein bloßer Versuch, Zeit zu schinden. Immerhin hat das Brünner Verfassungsgericht den Lissabon-Vertrag im Auftrag des tschechischen Senats schon einmal geprüft. Im November 2008 entschieden die 15 Richter einstimmig, dass die tschechische Souveränität nicht verletzt ist.

Die neue Klage der Senats-Minderheit verlangt, dass der Reformvertrag noch einmal in seiner Gesamtwirkung untersucht wird. Doch schon nach dem ersten Urteil hatte der Präsident des Verfassungsgerichts, Pavel Rychetsky, erklärt, dass die wichtigsten Kritikpunkte abgearbeitet seien und weitere Klagen kaum erfolgreich sein dürften. In diplomatischen Kreisen Tschechiens hofft man, dass die Richter binnen einem Monat über die Klage entschieden haben.

Der tschechische Senator Jaroslav Kubera hat für den Fall einer Niederlage zwar bereits neue Verfassungsklagen angekündigt. Solche Obstruktionsklagen dürften dann aber binnen weniger Tage abgewiesen werden können. In Deutschland brauchte das Bundesverfassungsgericht für die letzte Verfassungsklage gegen den Lissabon-Vertrag nur noch fünf Tage. Eingereicht hatte sie ein ehemaliger Thyssen-Manager.

Tschechiens parteiloser Premier Jan Fischer versuchte am Mittwoch in einer Videokonferenz den Präsidenten der EU-Kommission, Manuel Barroso, und andere EU-Politiker zu beruhigen. Fischer hofft, dass Präsident Klaus den Lissabon-Vertrag bis Ende des Jahres unterzeichnen wird.

Sollte Klaus dennoch weiter auf Zeit spielen, droht ihm in Tschechien eine Klage wegen „Untätigkeit im Amt“. In einem früheren Fall – es ging um den Internationalen Strafgerichtshof – genügte die Drohung und Klaus wurde aktiv.