die dritte meinung
: Kritik an der israelischen Siedlungspolitik ist nicht antisemitisch, sagt Hagai El-Ad

Hagai El-Ad

ist Israeli und seit 2014 Direktor der israelischen NGO B’Tselem. In Israel zählt er zu den meistkritisierten Bürgern, er hat vor dem UN-Sicherheitsrat eine internationale Intervention gegen sein eigenes Land gefordert.

Kurz bevor der Europäische Gerichtshof eine Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen für den Verkauf in der EU anordnete, genehmigte Israels Oberster Gerichtshof die Ausweisung des Human-Rights-Watch-Direktors für Israel und Palästina. Beide Urteile berühren dieselbe Frage: Sind israelische Siedlungen auf besetztem palästinensischem Land legal? Und wenn nicht, sind ethische Erwägungen ein legitimer Grund, sie abzulehnen?

Der Europäische Gerichtshof sagt: Ja. „Die West Bank ist ein Gebiet, dessen Bewohner das Recht auf Selbstbestimmung haben. Der Staat Israel ist in diesen Gebieten als Besatzungsmacht präsent und die Siedlungen sind ein konkreter Ausdruck einer Politik des Bevölkerungsaustauschs, der die Regeln der allgemeinen Menschenrechte verletzt.“ Der Gerichtshof zog daraus den Schluss, dass „die Tatsache, dass ein Nahrungsmittel aus (…) einer solchen Siedlung kommt, völlig zu Recht Gegenstand ethischer Bewertung ist, die die Kaufentscheidung von Konsumenten beeinflusst“.

Der israelische Gerichtshof hingegen urteilte, dass einer Person, der vorgeworfen wird, zum Boykott der Siedlungen aufzurufen, der Zutritt zu Israel verweigert werden könne, selbst wenn derjenige sich darauf beruft, Menschenrecht zu schützen. Widerspruch zur allgemeinen Politik des Staates Israel in Bezug auf ein Gebiet unter dessen Kontrolle sei inakzeptabel, weil es Ausdruck der Delegitimierung des Staates Israel (…) sei. Israel deutet Widerstand gegen die Siedlungen also als inhärent antisemitisch.

Als Fatou Besouda vom Internationalen Strafgerichtshof ankündigte, eine Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen in den palästinensischen ­Gebieten anzustreben, sah Benjamin Netanjahu darin „neue Erlasse“ gegen das jüdische Volk. Falsche Anschuldigungen in Sachen Antisemitismus dürfen aber kein Mittel werden, um Kritiker verstummen zu lassen. Ungerechtigkeit abzulehnen ist nicht antisemitisch, die Entmenschlichung der Palästinenser zu unterstützen aber ist rassistisch.