nutella happens. eine selbstgeißelung von WIGLAF DROSTE:
Es geschah am hellichten Tag. Am 18. Juli 2005 stand es auf der Wahrheitseite der taz: „Harry Potter ist Nutella und entsprechend genauso beliebt wie der Brotaufstrich des schurkischen Lebensmittelherstellerkonzerns Nestlé.“ Ein schöner und wahrer Satz, ich darf das sagen, denn er stammt von mir – nur das letzte Wort stimmt nicht: Nutella wird von Ferrero hergestellt, nicht von Nestlé. Einige Leser bemerkten und monierten den Fehler, Redakteur Ringel aber, der ungewohnt großzügig über meinen Lapsus hinweggesehen hatte, blieb cool und sagte: „Nutella happens.“ Was den Charakter des braunen, streichfähigen Produkts ja gültig beschreibt.
Es ist nicht angenehm, voll in Nutella zu treten. Wie konnte das passieren? Bei der Niederschrift hatte ich doch gewusst, dass es die Ferrero-Giftmischer aus Alba sind, die Nutella, Duplo, Hippo-Snacks et cetera produzieren. Ich war bei einer Reise ins Piemont an der Firma vorbeigekommen und hatte sogar die Haselnusshaine gesehen, in denen wächst, was zu Nutella degeneriert wird. Aber ebenso sicher war ich mir, dass Ferrero von Nestlé aufgekauft worden war. Das trifft nicht zu – Ferrero ist selber groß und macht auf italienisch, was Nestlé nach Schweizer Art betreibt.
Der nächste Bock ließ nicht lange auf sich warten. Um „die Linkspartei, die gerade Morgenluft wittert“, drehte sich elf Tage später die Freitagskolumne. Zwei Leser nahmen mich ins Gebet. Peter Sinram schrieb: „In dem Augenblick, in dem der Geist von Hamlets Vater Morgenluft wittert, weiß er, dass er in Kürze verschwinden muss; schließlich sind Geister nur nächtens aktiv und das Nahen des Morgens signalisiert ihnen, dass sie jetzt gehen müssen.“ Martin Henkel formulierte seine Korrektur so: „Die neue Linkspartei ist zwar vielleicht ein Gespenst, das nur in finsteren Zeiten erscheint, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie ihr unmittelbar bevorstehendes Verschwindenmüssen bereits wahrnimmt.“
Vielen Dank – für immer ist nun auf meiner Festplatte gespeichert, was es mit dem Schnobern an Morgenluft auf sich hat. Redakteur Ringel sah die Sache gelassen: Da habe sich eben im Volksmund eine dem ursprünglichen Sinn entgegengesetzte Interpretation eingebürgert, wodurch das eigentlich Falsche jetzt als richtig gelte – der Sprachgebrauch funktioniere nun mal so.
Mich aber quälte die Fehlerquote, ich fühlte mich schiete wie ein Schiite. Die Erinnerung, die mich im Stich gelassen und mir Streiche gespielt hatte, nahm nun die Gestalt eines sadistischen Bilanzbuchhalters an: Am 29. Oktober 2004 hatte ich mich an die peinlichen Vorgänge beim Öffnen der Mauer im November 1989 so erinnert: „Brandt, Diepgen, Wohlrabe et cetera versuchten am Brandenburger Tor, die deutsche Nationalhymne zu singen – es wurde ein dem fiesen Lied sehr adäquates Gekrächze.“ Alles tacko und prick – nur standen die Übelkrähen am Rathaus Schöneberg, weshalb sie ja auch als „Schöneberger Sängerknaben“ verspottet wurden.
Drei Schnitzer in neun Monaten – Grund genug, zur Geißel zu greifen und mich zu peitschen. Begleitet von rhythmisch klatschenden Schlägen lehre ich meine Rübe Mores: Arbeite, Kopf – du sitzt schließlich nicht auf einem Chefredakteur!
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