Leidenschaft für eine Sache

Wilhelm Knabe hat den Zusammenbruch von zwei deutschen Staaten erlebt und die Grünen mitbegründet. Heute unterstützt er Fridays for Future. Ein Portrait

Wilhelm Knabe beim „Klimazug“ der Grünen in Saarbrücken vor der Bundestagswahl 1990 Foto: imago

Von Stefan Reinecke

Die steinernen Treppenstufen vor der Haustür des Einfamilienhauses sind schief. Die Wurzeln eines Mammutbaumes haben sie angehoben. Der Baum ragt 12 Meter in die Höhe. Wilhelm Knabe hat ihn 1967 gepflanzt, als er sich mit seiner Familie in dem damals neuen Haus im Rumbachtal in Mülheim/Ruhr niederließ. „Damals war er ein kleines Pflänzchen“, sagt er. Knabe ist Forstwissenschaftler, Ökologe, Politiker, 1980 hat er die Grünen mitbegründet. Den Baum, dessen Wurzelwerk die Steinplatten anhebt, mag man als Metapher verstehen, für die Kraft der Natur, deren Schutz im Zentrum seines Lebens steht.

Mitte der 1960er-Jahre, als noch hohe Schornsteine den Himmel über der Ruhr blau färbten, warnte Knabe bereits, dass die Schadstoffe anderswo, in den Wäldern nämlich, niedergehen würden. Und ein paar Jahre vor dem Bericht des Club of Rome 1972 hielt er den drastisch steigenden Energieverbrauch, damals ein Zeichen segensreichen Fortschritts, für ein Problem. Ende der 1980er-Jahre war er grüner Bundestagsabgeordneter. Damals verdichteten sich die Hinweise, dass der Klimawandel zur Bedrohung wird.

Knabe war eine treibende Kraft der Enquetekommission des Bundestages zum Klimawandel. Der Bericht, einvernehmlich mit SPD, Union und FDP verabschiedet, ließ kein Zweifel: Der Meeresspiegel wird ansteigen. Klimazonen werden sich verschieben, Wüstenregionen sich ausbreiten. „Hunger, Ströme von Umweltflüchtlingen werden die Folge sein. Der Klimawandel wird vor allem Entwicklungsländer treffen“, so der Vorsitzende der Kommission am 31. Oktober 1990 im Bundestag. Der Bericht wurde viel gelobt – und wanderte ins Archiv.

Kürzlich war Knabe auf einer Demonstration von Fridays for Future. Er hatte ein Schild dabei: „Ihr seid nicht allein“. Er ist jetzt 96 Jahre alt und wohl der älteste FFF-Demonstrant. Wenn es geht, wird er am FFF-Aktionstag „time to change“ dabei sein. „Wenn du neugierig bleibst, wirst du nicht alt“, sagt er. Er hat gerade seine Biografie veröffentlicht: „Erinnerungen. Ein deutsch-deutsches Leben“ (Sigrid Krosse Verlag 2020), ein Panoramablick, der von der Jugend in den 1930er-Jahren über den Zweiten Weltkrieg, der Frühzeit der DDR über die Flucht in den Westen bis zum Engagement für die Grünen reicht.

Als der Zweite Weltkrieg begann, meldet sich die Hälfte seiner Schulklasse freiwillig zum Militär. Knabe war nicht immun gegenüber der Kriegsbegeisterung, blieb aber skeptisch. Im Chaos des Mai 1945 geriet er an einen jungen US-Soldat, der Verdächtige verhörte. Der GI erklärte dem 23-Jährigen, dass die Alliierten in Jalta neue Grenzen beschlossen hatten, die Europa in Ost und West teilen würden. Ein paar Jahre später sah Knabe das Foto des US-Soldaten in der Zeitung: Es war ein deutscher Jude aus Franken, Heinz Alfred Kissinger, später US-Außenminister.

„Wenn du neugierig bleibst, wirst du nicht alt“

Wilhelm Knabe

Knabe blieb nach 1945 im Osten, bei seiner Familie bei Dresden. Das SED-Regime war ihm suspekt, doch er sah eine drängende Aufgabe: Der Braunkohleabbau in der Lausitz hinterließ Landschaften, in denen auch nach Jahrzehnten nichts wuchs. Der Forstwissenschaftler arbeitete an Methoden, schon beim Abbau der Kohle die giftigen Stoffe zu isolieren, um diese Mondlandschaften zu verhindern. Als die Spielräume in der DDR auch für solche Tätigkeiten enger wurden, floh er 1959 in den Westen.

Knabe hat, auch wenn das angesichts seines Alters seltsam klingt, noch immer etwas Jungenhaftes an sich, eine Art spontaner Zugewandtheit zum Nächsten. Er ist einer, der mit vielen gut kann. Dieses Offene, Kommunikative nutzte ihm schon in der Frühzeit der Grünen. In den 1980er-Jahren führte er, der gegen den Sozialismus geimpfte Ökologe, zwei Jahre lang die Partei zusammen mit Rainer Trampert, der aus dem linksradikalen KB kam. Trampert (73) erinnert sich an die harmonische Zusammenarbeit mit „einem höflichen, großzügigen bürgerlichen Grünen“. Knabe habe das Ökologische gemacht, Trampert, damals Betriebsrat, Wirtschaft und Soziales. Neben den weltanschaulichen Differenzen gab es auch Verbindendes. Beide wollten verhindern, dass die noch instabilen Grünen rechten Blut-und-Boden-Ökos in die Hände fielen. Auch Knabe erinnert sich an reibungsarme Zusammenarbeit mit Trampert. „Wir haben uns gegenseitig respektiert.“

Die Grünen, so Knabes Idee, waren weder links oder rechts. Sie vermaßen das politische Spektrum entlang der Koordinaten ökologisch und antiökologisch neu. Deshalb kam Knabe auch mit Linken und Konservativen klar. Mitte der 1990er-Jahre wurde er in Mülheim, einer ewigen SPD-Hochburg, Bürgermeister der ersten schwarz-grünen Koalition in einer deutschen Großstadt. Die Kommunikationsfähigkeit nach links und rechts ist nicht nur persönliches Talent, sondern Ergebnis der am eigenen Leib erfahrenen historischen Erkenntnis, dass Demokratie fundamental ist. „In der Demokratie“, sagt er, „muss man miteinander reden, weil man gemeinsam mehr erreichen kann.“