Ausgehen und rumstehen von Volker Bernhard
: Wir ventilieren hysterischdas Unfassbare

Es ist früher Freitagabend. Thüringen ist kaum 48 Stunden her, da gönne ich mir gleich die nächste dystopische Ration. Im Roten Salon der Volksbühne soll es um den Kampf der Bürger Hongkongs gegen die Smart City gehen, Echtzeit-Science Fiction gewissermaßen. Das klingt funky, etliche warten vergeblich auf Restkarten. Nach seinem Impulsvortrag debattiert der Investigativjournalist mit einem Theaterregisseur. Letzterer ist zugleich irgendwo Intendant und begnügt sich mit schrägen Binsen: Das Internet bedeute einen krassen Kulturwandel, es sei wie bei einem Hammer, man könne es so oder so nutzen etc. pp.

Um mich herum gibt es neben ehrlichem Interesse diverse unterdrückte Lachanfälle. Mit Dackelblick begehe ich auch heute wie so oft in solchen Situationen denselben Fehler: Ich bleibe und hoffe auf irgendeine Art der Linderung. Kommt aber nicht.

Meine Begleitung und ich stehen dann geschockt auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Wir lachen immer wieder hysterisch auf, so wie man es nun mal tut, wenn man das Unfassbare paradoxal wegventiliert. Wir weichen einem zähnefletschenden Dobermann mit grünem Leuchtring um den Hals aus, was natürlich grundlos ist, schließlich „tut der ja nix“. Und genau das tun wir dann auch.

Eine Matinee im silent green bringt tags darauf Erhabenheit zurück. Das Konzert des Pianisten Lubomyr Melnyk am Abend war schnell ausverkauft, sodass ein zweites angesetzt wurde. Seine Klangteppiche erzeugen Orte fragiler Schönheit. Es ist prächtig anzuschauen, wie er mit langen Ausführungen zwischen den Stücken Teile der Kulturschickeria nervt. So lobpreist er ausgiebig die Wirkung seiner „continous music“ getauften Spielweise: Zwar dauere es etwa 55 Jahre, bis der geneigte Jünger die Kompositionen spielen könne, doch jemand müsse sich finden – ewig könne er das ja nicht machen.

Im Berliner Westen verweile ich einen Hauch lang bei einer Vernissage. Man trägt kleine Hunde auf dem Arm und steht mit dem Rücken zur Kunst. Danach eine Feier im Altbau, hier völlig angenehmes Loslabern. Ich lausche lächerlichen Geschichten über hohe kulturelle Würdenträger, über mein Gesicht huscht eher Spott denn Verzweiflung.

Ein Pathologe bestätigt meinen Verdacht, dass die automatische Bilderkennung bei der Diagnose äußerst effektiv und ausbaufähig ist. Auch auf seinem zukunftssicheren Berufsfeld also bald lächerlich hohe Arbeitslosenzahlen. Vielleicht, so denke ich, wächst ja erst, wenn die Automatisierung höhere Einkommensschichten erreicht, das Verständnis: dass nicht der Arbeitsplatzverlust zu beklagen sei, sondern es vielmehr um die Vergesellschaftung eines Teils des aus der Automatisierung resultierenden Mehrwerts ginge.

Bevor ich mich in diesem ausgelutschten Gedanken verlieren kann, überrascht mich ein Volkswirtschaftler, der sich auf Arbeitslosigkeit spezialisiert hat. Ihm zufolge sei es in den USA gar nicht so leicht, an die für seine Forschung erforderlichen, anonymisierten Daten zu gelangen. Das finde ich arg absurd und lache kurz hysterisch, schließlich ist das Land des Silicon-Valley-Kapitalismus eigentlich generell wenig sensitiv im Umgang mit Daten.

Ich schlendere dann lange durch die Nacht, verlaufe mich ein-, zweimal genüsslich und dann ist auch schon Sonntagabend. In Begleitung spaziere ich durch Mitte, es ist an diesem 9. Februar lächerlich lau. Dann kommen Regen und Böen, auf der Straße ist niemand. Ach so, dachten wir, wenn das so ist, dann können wir auch ins Kino gehn.